
DER MENSCH UND DIE WALDTIERE
Drei Ratschläge des Frosches
Einmal ging ein Mann aus dem Brunnen Wasser holen. Es war ein Frosch im Brunnen und dieser kam zufällig in den Wassereimer.
Der Mann brachte den Wassereimer ins Zimmer und fand den Frosch. Er wollte den Frosch aus dem Haus hinaus in den Schnee werfen.
Der Frosch fing an zu bitten:
"Lieber Mann, wirf mich bei kaltem Wetter nicht auf den trockenen Boden! Ich werde gleich erfrieren!"
Der Mann erwiderte:
"Das geht mir nicht an! Ich gehe doch nicht deinetwegen zurück zum Brunnen, um dich ins Wasser zu lassen! Wer hatte dich darum gebeten, in den Eimer zu kommen?" Und fast hätte er schon den Frosch hinausgeschmissen.
Der Frosch fing an, noch kläglicher zu bitten: "Allerliebster Mann! Bringe mich zur Winterzeit in dein Dünnbierfaß! Ich werde dir dafür im Frühling drei gute Ratschläge geben."
Der Mann dachte nach und sagte: "Es ist mir egal! Wenn du mir drei Ratschläge gibst, will ich das machen. Ratschläge machen den Menschen immer klüger."
Er brachte den Frosch in das Dünnbierfaß und füllte das Faß jeden Tag mit frischem Wasser, damit der Frosch nicht auf dem trockenen Bodensatz bleibt.
Es kam der Frühling, der Schnee schmolz. Andere Frösche kamen schon heraus.
Der Mann ging zu seinem Frosch und sprach:
"Das Wasser schlägt schon Wellen, dein Geschlecht ist schon da. Geh du jetzt auch hinaus und gib mir deine drei Ratschläge dafür, daß ich dich den ganzen Winter lang gepflegt habe."
Der Frosch erwiderte:
"Bringe mich zum Brunnen, dort werde ich sie dir sagen."
Der Mann brachte den Frosch zu der Brunneneinfassung und jener sagte:
"Der erste Rat: wenn du nähst, mache an das Ende des Fadens einen Knoten, sonst läuft der Faden durch den Stoff.
Der zweite Rat: wenn du über einen Zaun kletterst, halte dich an diesen Pfählen fest, die außenseits bleiben. Wenn du dich an den Pfählen der Innenseite festhältst, wirst du sie kaputt machen.
Der dritte Rat: Wenn du dein verbrauchtes Brot [d.h. Kot] ablegst, halte deine Nase gegen den Wind, sonst wirst du den Gestank riechen."
Als er so gesagt hatte, sprang er in den Brunnen.
113. Drei Ratschläge des Frosches. E 28670/2 (8) < Risti - Johannes
Niinas (1896). - AT 150 A* - Drei Ratschläge des Frosches, 59 Varianten. Eine
ostseefinnisch-baltische Fassung von dem weit bekannten Märchen "Die Ratschläge
des Fuchses"; diese Fassung kennen die Finnen (5), die Esten, die Letten (8),
die Litauer (6) und die Liven (2). Auf unserem Gebiet sind die Ratschläge improvisatorisch und variieren sich mehr als in der Fuchs-Redaktion, die anderswo erzählt wird. Siehe: P. Kippar. Konna õpetused (AT 150 A*). Muinasjututüübi AT 150 läänemeresoome-balti redaktsioon [Die Ratschläge des Frosches (AT 150 A*). Die ostseefinnisch-baltische Redaktion des Märchentypus AT 150] - Emakeele Seltsi Aastaraamat. 19/20, 173/74, S. 263-289.

Der Mann und der Bär
Ein Mann pflügte mit seinen Ochsen auf dem Feld. Den einen Ochsen hieß er "der Starke" und den anderen "der Mächtige". Ein Bär kam zu ihm und fragte:
"Warum heißen deine Ochsen so? Ist der eine denn wirklich so stark und der andere so mächtig?"
Der Mann sagte, daß sie tatsächlich so seien. Derjenige, der als Kalb verschnitten wurde, sei stark und derjenige, der als Bulle verschnitten wurde, sei mächtig.
Der Bär fragte:
"Ich bin auch noch nicht verschnitten worden und bin schon stark genug, wenn ich mich aber verschneiden ließe, würde ich denn auch mächtig?"
Der Mann antwortete, es sei wirklich so. Also ließ der Bär sich von dem Mann verschneiden und wartete, daß er jetzt auch mächtig würde, er wurde aber nicht am geringsten mächtiger. Der Bär wurde auf den Mann wütend und ging den Mann suchen.
Der Mann pflügte wieder auf dem Feld. Der Bär fing an zu schimpfen, daß dieser ihn betrogen hatte und ihn umsonst gepeinigt hatte. Er versprach, den Mann selbst zu verschneiden, um sich bei ihm zu rächen.
Der Mann fing an zu bitten, daß der Bär ihn noch für diesen Tag in Ruhe lassen würden, dann könnte er die Gerste säen. Am nächsten Tag könne er kommen und ihn verschneiden. Der Bär war damit zufrieden und ging weg. Am nächsten Tag zog der Mann eine alte kaputte Hose an, die zwischen den Beinen zerrissen war. Der Bär kam und wollte mit der Arbeit anfangen, wie war er aber erschrocken, als er die kaputte Hose sah! Er dachte, daß der Mann vor großer Angst sich selbst verschnitten hatte. Nun wurde ihm angst und bange, daß der Mann jetzt wegen seiner Schuld sterben wird. Er überlegte, was zunächst zu tun war. Bald kam er auf den guten Gedanken - man muß die Wunden beschmieren, dann werden sie vielleicht noch heilen. Zu diesem Zweck brachte der Bär aus dem Dorf einen Bienenstock, um die Wunden mit Honig zu beschmieren.
Der Mann war aber inzwischen nach Hause gegangen, um eine Mittagspause zu halten. Der Bär verließ den Bienenstock auf der Stelle, befahl dem Hasen, dort zu bleiben und Wache zu halten, und ging selbst den Mann suchen.
Es kam aber der Fuchs und wollte den Bienenstock wegnehmen. Der Hase aber gab nicht, er sagte, der Bienenstock gehöre dem Bären, er sei vom Bären zum Wächter bestimmt und dürfe nichts weggeben. Der Fuchs aber begehrte den Honig. Er blieb in der Nähe lauern, um nachzuschauen, wohin der Bär den Bienenstock tragen wird.
Der Bär suchte und suchte, konnte den Mann aber nirgendwo finden. So ging er zurück zu dem Hasen. Er wollte schon selbst den Honig auffressen, mochte es aber doch nicht tun. Er wollte den Honig lieber ein anderes Mal mit seinem guten Freund, den Fuchs, teilen und versteckte den Bienenstock im Wald. Der Fuchs aber lauerte und sah, wohin der Bär den Bienenstock trug.
Am nächsten Tag ging der Bär den Fuchs suchen, um ihn einzuladen, den Honig zu probieren. Er fand den Fuchs, lud ihn ein und versprach, ihm eine sehr gute Speise anzubieten. Der Fuchs lehnte es ab, er wolle heute nicht kommen, da er gerade von einem Taufschmaus gekommen sei, der Magen sei schon zu voll. Selbst aber war er beim Bienenstock gewesen und hatte einen Teil des Honigs aufgefressen. Er versprach dem Bären, an einem anderen Tag sein Gast zu sein.
Der Bär fragte den Fuchs:
"Du warst bei der Taufe dabei? Wie war des Kindes Name?"
"Das Obere Lecken," antwortete der Fuchs.
Am nächsten Tag ging der Bär wieder den Fuchs suchen, um ihn zum Honigessen einzuladen. Der Fuchs aber war schon wieder beim Bienenstock gewesen. Als der Bär ihn einlud, wollte er nicht gehen, sagte wieder, er sei vom Taufschmaus gekommen.
Der Bär fragte wieder:
"Welcher Name wurde dem Kind gegeben?"
"Das Mittlere Schaben," antwortete der Fuchs.
Am dritten Tag fraß der Fuchs den Bienenstock leer. Der Bär kam wieder ihn einladen. Auch an diesem Tag wollte der Fuchs nicht gehen. Er sagte wieder, er komme von einem Taufschmaus, der Magen sei voll, und versprach, am nächsten Tag wirklich zu kommen.
Der Bär fragte:
"Wie war des Kindes Name?"
"Das Lecken des Bodens," erwiderte der Fuchs.
Am nächsten Tag ging der Bär den Fuchs suchen und einladen. Dieses Mal der Fuchs tatsächlich kam. Sie gingen zusammen in den Wald, den Bienenstock anzuschauen. Der Bienenstock war aber leer. Der Bär war erschrocken und es tat ihm sehr leid, daß der Honig verschwunden war. Er fing an, den Fuchs zu beschuldigen, dieser habe alles aufgefressen, wo anders sei er drei Tage lang zur Taufe gewesen. Der Fuchs aber drängte die Schuld dem Bären auf, der Bär habe den Honig selbst aufgefressen und wolle ihn mit der Einladung necken. Der Bär war wieder dagegen und behauptete, er habe nichts gefressen.
Dann sagte der Fuchs dem Bären:
"Wir wollen uns schlafen legen und unsere Hintern gegen die Sonne halten. Von wessen Hintern Honig herausschmilzt, der war der Auffresser."
Der Bär wußte, daß er unschuldig war, und blieb ruhig. Sie legten sich schlafen. Der Bär schlief sofort ein, der Fuchs aber nahm vom Boden des Bienenstocks etwas Honig und beschmierte dem Bären die Stelle unter seinem Schwanz. Dann ging auch er schlafen.
Am Morgen wachten sie auf und überprüften einander. Der Hinterteil des Bären war mit Honig beschmiert, der des Fuchses aber sauber. Der Bär widersprach, er habe keinen Honig gefressen, aber alles war umsonst. Er blieb doch der Schuldige.
114. Der Mann und der Bär. H II 65, 535/8 (13) < Jüri, Nabala
- Jaan Saalverk < Jüri Saar, 41 a. (1898) und H II 65, 432/7 (18) < Jüri - Jaan
Mõsikäpp < Jüri Saar (1898). - AT 153 + 15 - Das Kastrieren des Bären, 20 Varianten
+ Falscher Taufschmaus, 101 Varianten.

Der Wolf im Sack
Es waren Männer auf Jagd. Ein armer Wolf wurde fast gefangen, zum Glück konnte er sich aber doch rechtzeitig retten. Er kam aus dem Wald auf ein Feld, wo ein Bauer gerade einen Hafersack geleert hatte und fleißig den Hafer säte. Der Wolf bat, daß der Mann ihm erlauben würde, in den leeren Sack zu kriechen und solange dort zu bleiben, bis die Jagd zu Ende geht. Der Mann wollte mit den bösen Tieren nichts zu tun haben und befahl dem Wolf, wegzugehen. Der Wolf aber bat weiter und versprach dem Mann einen guten Preis zum Lohn für das Retten seines Lebens. Zum Schluß erlaubte der Mann ihn in den Versteck.
Als die Jagd zu Ende war, ließ der Mann den Wolf wieder heraus. Statt des Dankens wollte der Wolf ihn aber auffressen. Der Mann sagte, daß der Wolf ihm für das Retten des Lebens danken sollte. Er war bereit, dem Wolf sein Pferd zum Futter zu geben, wenn dieser nur ihm das Leben schenken würde. Der Wolf aber blieb den Bitten gegenüber gleichgültig und wollte den Mann auffressen.
Zufällig kam ein Fuchs vorbei, hörte den Streit und kam näher. Er wollte wissen, warum der Streit angefangen hatte.
Der Mann erklärte, daß er den Wolf vor den Jägern gerettet hatte und dieser ihn nun anstatt des Dankens zerreißen will. Der Wolf sagte, daß er lange Zeit vor den Jägern fliehen mußte und daß der Mann ihn noch eine unendliche Zeit im Sack gehalten hatte. Deshalb wolle er jetzt mit dem Mann seinen Hunger stillen und sich gleichzeitig dafür rächen, daß der Mann ihn vor Hunger wollte sterben lassen.
Der Wolf hatte im letzten Sommer den Großvater des Fuchses aufgefressen. Jetzt war es an der Zeit, an die Rache zu denken.
"Ich glaube nicht, daß ein so großes Tier in diesen Sack hereinpaßt. Krieche noch einmal in den Sack, dann glaube ich, daß deine Rede wahr ist."
Der Wolf wollte zeigen, daß er recht hatte, und kroch in den Sack.
"Zieh deinen Schwanz auch hinein, dann werde ich sehen, daß du wirklich im Sack bist!" sagte der Fuchs.
Der Wolf zog den Schwanz herein.
"Binde den Mund des Sacks zu," flüsterte der Fuchs dem Mann leise ins Ohr. Der Mann machte schnell, was ihm gesagt wurde.
"Jetzt nimm von dem Wagen zwei Räder weg," unterrichtete der Fuchs, "und bringe den Sack in den Wagen."
Er selbst wünschte dem Mann einen schönen Tag und ging weg.
Der Mann machte, wie befohlen. Als er die Räder wieder an die richtigen Stellen unter den Wagen befestigt hatte, fuhr er mit dem Wolf nach Hause. Dort brachte er zusammen mit seiner Frau die Sache soweit, daß der Wolf zum Leben keine Lust mehr hatte und seinen Geist aufgab.
115. Der Wolf im Sack. H III 6, 13/7 (2) < Helme - J. Veri (1899).
- AT 155 - Der Welt Lohn, 26 Varianten. In der estnischen Variante von diesem
in der ganzen Welt bekannten Märchen gibt es manche lokalen Eigenarten. In Nord-
und West-Estland bis hin zu Tartu ist das gefangene oder steckengebliebene Tier
eine Schlange. In den Varianten aus den Kirchspielen Helme und Setu bittet ein
Wolf darum, daß er sich im Kornsack eines Bauern verstecken dürfte. Die endgültige
Lösung bringt überall ein Fuchs.

Der Mann und der Löwe
In Rom gab es in der alten Zeit einen sehr reichen Mann. Dieser hatte einen Diener, den er furchtbar plagte - so, daß der Diener es nicht mehr aushalten konnte. Er floh von seinem Herrn und kam zufällig in eine Wüste. Gegen Abend suchte er sich Unterkunft und fand die Höhle eines Löwen, er wußte aber nicht, daß es sich um die Höhle eines Löwen handelte.
Als er hineingegangen war, kam auch ein riesengroßer Löwe dorthin. Dieser jagte ihm einen solchen Schreck ein, daß er nur beben und zittern konnte, da er dachte, daß der Löwe ihn auffressen will. Der Löwe aber hinkte und kam winselnd zu dem Mann, hob eine Pfote hoch und zeigte sie dem Mann. Der Mann befühlte die Pfote und fand heraus, daß der Löwe einen großen Splitter in der Pfote hatte und die Pfote sehr geschwollen war. Der Mann zog den Splitter heraus, drückte auch den Eiter aus der Wunde, wusch die Wunde mit seinem Harn und legte einen Lappen auf die Wunde. Jeden Morgen prüfte er die Wunde und wusch sie nochmal.
Der Löwe ging jeden Tag Nahrung suchen und brachte dem Mann einen Elch, einen Hasen und allmögliches sonstiges Fleisch. Der Löwe wurde ihm ein so guter Freund, daß er mit dem Mann spielte und in seinem Schoß schlief.
Zum Schluß wurde es dem Mann langweilig und er konnte das bloße Fleisch ohne Salz und Brot nicht mehr aushalten. So ging er zurück zu den Menschen, von denen er festgenommen und in diesen Ort zurückgebracht wurde, wo er herkam.
Als der Löwe jetzt nach Hause kam und seinen Arzt nicht mehr da fand, trauerte er und ging ihn suchen. Während der Suche aber geriet er in eine Neste, die die Jäger aufgelegt hatten.
Da der Löwe sehr groß war, wurde er dem Kaiser gegeben. Der Kaiser befahl, daß der Löwe in die Höhle zu den anderen gebracht würde. Als nun der Diener zu dem Kaiser zurückgebracht wurde, ließ er ihn in die Höhle der Löwen werfen, damit sie ihn zerreißen würden. Zu diesem Schauspiel wurden alle - der Kaiser und andere große Herren - eingeladen, damit sie ihr Vergnügen daran haben könnten; in jener Zeit war die christliche Lehre den Menschen noch nicht bekannt, deshalb liebten sie solche schrecklichen Vergnügen.
Als nun alle Herrschaften zusammengekommen waren, wurde der Mann an einem Seil von der Mauer in die Höhle hineingelassen und ihm ein Schwert in die Hand gegeben, damit er mit dem Löwen kämpfen könnte und der Löwe ihn nachher auffressen würde. Da kam schon ein schrecklicher Löwe heraus, der zwei Tage lang nichts zum Fressen bekommen hatte. Als der Löwe herauskam, fing er an, dem Mann näher zu schleichen und furchtbar zu brüllen. Der Mann zitterte, konnte aber nirgendwo einen Versteck finden. Als der Löwe aber näher kam und sah, daß da sein Arzt war, ließ er sich vor großer Freude vor den Füßen des Mannes nieder. Der Mann sah, daß der Löwe ihm nichts antun wird, warf das Schwert weg und fing an zu spielen.
Zuerst dachten der Kaiser und die großen Herrschaften, daß der Mann sich in Todesschmerz windet, dann aber wurde es ihnen klar, daß die Sache ganz anders war. Sie waren sehr erstaunt und der Kaiser ließ den Mann zu sich rufen. Der Mann erzählte alles, was ihm in der Wüste passiert war. Der Kaiser ließ den Mann frei und schenkte ihm auch den Löwen. Dieser lief ihm nach wie ein Welf und tat ihm nie etwas Böses an.
116. Der Mann und der Löwe. E 32804/10 < Viljandi, Vana-Võidu
< Hans Maaten (1897). - AT 156 - Der Splitter in der Pranke des Löwen (Androkles
und der Löwe), 6 Varianten. Ein altes literarisches Sujet, durch gedruckte Quellen
in die mündliche Tradition gelangt (Laakmann 1847, Kreutzwald 1872).

Eine Hälfte für mich, eine Hälfte für dich
Ein Mann begegnete auf dem Weg einen Wolf, der ein Schaf zwischen den Zähnen trug.
Der Mann sagte:
"Eine Hälfte für mich, eine Hälfte für dich."
Der Wolf ließ das Schaf fallen und lief in den Wald.
Dieses Schaf hatte jedes Jahr zwei Lämmer und jedes Mal holte sich der Wolf eins von ihnen. Das war deshalb, weil der Mann gesagt hatte:
"Eine Hälfte für mich, eine Hälfte für dich."
117. Eine Hälfte für mich, eine Hälfte für dich. H II 56, 1028
(1) < Rõuge - Hilda Treu (1896). - AT 156* - Der Mann teilt das Schaf mit dem
Wolf, 2 Varianten. Auch in vielen Varianten von AT 156 A* nimmt der Wolf jedes
Jahr ein Lamm des Schafes, das als Lohn für eine Wohltat gebracht worden ist.

Die Treue des Löwen
Ein Jäger war einmal im Wald auf der Jagd und hörte plötzlich ein entsetzliches Schreien. Er ging in diese Richtung und sah plötzlich einen Löwen. Der Mann wollte weggehen, aber der Löwe ließ ihn nicht gehen; die Augen des Löwen tränten und das Tier selbst schien müde.
Eine große Schlange hatte sich um einen Baum geschlungen. Jetzt verstand der Mann die Lage der Sachen, nahm den Spieß, wie es ihn alle Jäger tragen, und schlug die Schlange entzwei. Der Löwe zerriß sofort die Kopfseite der Schlange. Man kann glauben, daß der Löwe sie sonst nicht mehr hätte besiegen können, da er schon zu müde war.
Der Jäger wollte dann nach Hause gehen, der Löwe aber blieb nicht zurück; er kam hinter dem Mann, seine Augen tränten und er selbst war so demütig und ruhig wie ein Lamm.
Der Jäger fütterte ihn und hielt ihn wie einen Hund.
Der Jäger starb und wurde im Friedhof begraben. Der Löwe sah das und kam mehrere Male auf den Grab des Jägers sitzen und weinen.
118. Die Treue des Löwen. H III 27, 68 < Ambla - Johannes Orav
(1896). - AT 156 A - 6 Varianten. (Vgl. die vorigen.)

Der Bär mit der kranken Pfote
Ein kleines Mädchen sammelte im Wald Sumpfbrombeeren, um sie zu verkaufen. Plötzlich sah es einen Bären zwischen den Büschen aufstehen. Dieser hielt eine Pfote hoch und brummte:
"Möhöhöh!"
Das Mädchen war sehr erschrocken und lief weg.
Am nächsten Tag ging es wieder in die Beeren. Es hatte keine Angst, da der Bär ihm ja nicht nachgekommen war.
Das Mädchen sammelte Beeren. Plötzlich stand der Bär wieder zwischen den Büschen auf, trat auf seinen hinteren Beinen dem Kind näher und brummte, die erste Pfote hielt er aber hoch und zeigte sie dem Kind.
Das Kind schaute auf die Pfote. Diese war geschwollen und eiterte. Ein Splitter war tief in der Pfote. Das Kind lief nach Hause, brachte einen Nadel, mit dem man Bundschuhe näht, und ließ den Eiter herausfließen.
Am dritten Tag ging das Mädchen wieder in die Beeren. Jetzt kam der Bär wieder, ein Bienenstock im Schoß. Bei dem Mädchen angekommen, warf er den Bienenstock auf die Erde, so daß dieser zerbrach. Der Bienenstock war voll von Honig. Mit dem Brummen zeigte der Bär, daß das Kind essen durfte.
Das Kind aß und brachte seinen Korb voll Honigwaben nach Hause. Zu Hause wurde es gefragt, wo es den Honig bekommen hatte. Das Mädchen erzählte seine Geschichte, so, wie alles gewesen war. Dann wurden Männer zusammengerufen und alle gingen in den Sumpf, um den Bären zu fangen, aber sie konnten ihn nicht mehr finden. Der Bär war verschwunden.
Ein Bär hat die Klugheit eines Manns und die Kraft von sieben Männern.
119. Der Bär mit der kranken Pfote. ERA II 196, 606/8 (6) < Torma
< Rakvere - Priidu Tammepuu < Eduard Jürgenson, geb. 1867 (1937). - AT 156 A*
- Der Arzt des Wolfes, 37 Varianten. Eine ostseefinnisch-baltische Fassung des
antiken Märchens "Androkles und der Löwe (Siehe die vorigen).

Das Weib hilft der Schlange
Eine Frau ging in den Wald, um grüne Zweige zu bringen. Sie sah eine Schlange gebären. Sie dachte vor sich hin, daß sogar eine Schlange die Krankheit der Wöchnerin hat. Es ist üblich, einer Wöchnerin etwas zu bringen - wer wird aber einer Schlange etwas bringen?
Die Frau hatte etwas Butterbrot mit. Sie brach das Brot entzwei und gab es der Schlange.
Es verging einige Zeit. Die Frau, die die Zweige gebracht hatte, ging mit ihrem alten Mütterchen und ihren Kindern in die Sauna. Sie waren gerade in der Sauna, als sie sahen, daß die Schlange von unter der Mauer hereinkommt, ein Geldstück im Maul. Sie kam, um dieses Geldstück der Frau zu bringen - zum Lohn dafür, daß die Frau ihr beim Gebären Butterbrot gegeben hatte.
120. Das Weib hilft der Schlange. ERA II 155, 286/7 (102) < Setu
- Nikolai Sõrmus < Natalie Palm, über 60 a. (1937). - AT 156 B* - die einzige
Variante.

Die Geschichte des Bären und des Wolfs
In der alten Zeit gab es auf den Mähwiesen des Kirchspiels Võnnu so viele Bären und Wölfe, daß die Heumacher nur in der Mittagszeit, wenn das Wetter sehr heiß war, auf der Mähwiese arbeiten konnten. Am Abend und am Morgen waren Wölfe und Bären immer da, so daß diejenigen, die in dieser Zeit auf den Mähwiesen blieben und auch nicht auf die Bäume hochkletterten, den wilden Tieren zur Nahrung fielen.
Die Heumacher wußten immer größere Bäume, an denen sie notfalls Rettung fanden. Auch dann, wenn man ein Feuer machte, kamen die Bären nicht aus dieser Richtung, wohin der Wind den Rauch wehte. Deshalb machten die Leute immer ein Feuer, wenn sie Heuhaufen machen wollten. Sonst kam der Bär und wühlte alles durcheinander. Einmal machten die Heumacher zwar ein Feuer, dessen Rauch der Wind über das Heu wehte, aber der Bär kam trotzdem und riß die Heuhaufen nieder.
Ein Mann war aber auf der Mähwiese oben an einem Baum und rief zugleich:
"Warum machst du, Teufel, die fertige Arbeit kaputt und verdirbst alles!" Gleich fing der Bär an hochzuschauen und fand zum Schluß auch diesen Baum, an dem der Mann saß. Der Bär fing an hochzuklettern. Der Mann hatte aber irgendein Schneidewerkzeug dabei und schlug es in die Brust des Bären, als dieser nah gekommen war. So konnte der Mann sich schützen.
Der Bär habe ein sehr schwaches Herz. Einmal verfolgten ihn etwa zehn Wölfe. Er lief, wie er konnte, wurde aber zum Schluß doch müde. Es geschah aber so, daß in der gleichen Zeit ein Mann mit dem Schlitten vorbei kam. Diesem sprang der Bär in den Schlitten. Der Mann geriet in Schrecken. Als er aber sah, daß die Absicht des Bären, wozu dieser auf den Weg gekommen war, nicht ein Raub war, sondern daß die Not ihn dorthin getrieben hatte, jagte er den Bären nicht mit Gewalt weg. Erst dann, als der Mann schon fast zu Hause war, ging der Bär vom Schlitten wieder weg.
Am nächsten Tag kam der Bär in die Nähe dieses Bauernhofes und brachte mehrere Haufen Hafer samt dem Haferstroh mit, die hatte er wahrscheinlich von einem Haferschober bekommen. So belohnte der Bär die Wohltat des Mannes.
Der Bär will auch sehr gern Branntwein trinken. Irgendwo bei einem Gutshof zerzauste jemand immer, im Sommer sowie im Winter, die Haferschober des Gutsherrn. Der Gutsherr wollte sehen, wer an seinen Haferschober zaust, und ließ neben den Schober süßgemachten Branntwein bringen. Am nächsten Tag fand man dort einen betrunkenen Bären.
Einmal zerzauste ein Bär während der Erntearbeiten wieder die Haferschober. Ein mutiger Mann ging in der Nacht den Bären abscheuchen. Am Morgen fand er aber den ganzen Hafer in einer Wasserpfütze, wohin der Bär ihn in Eile gelassen hatte.
Die Nase des Bären sei aber so empfindlich, daß sie keinen stärkeren Schlag aushalten könne. Einmal wollte ein Hirt sich verstecken und kletterte auf einen Baum. Der Bär kam auch unter diesen Baum und wollte auch hochklettern. Der Hirt flüchtete noch höher und dabei fiel ihm ein Stück Brot aus der Tasche genau auf die Nase des Bären. Der Bär blieb unter dem Baum liegen und starb.
Einmal verfolgten Wölfe einen Bären. Ein Mann war zufällig zur gleichen Zeit im Wald Holz schlagen. Als er die Tiere sah, floh er sofort an eine Fichte. Der Mann warf die Wölfe zwar mit Zapfen, aber zum Schluß brachten sie doch den Bären um. Nachher, als die Wölfe weggegangen waren, fand der Mann, daß die Därme des Bären dort geblieben waren, die wie Litzen anmuteten. [---]
121. Die Geschichte des Bären und des Wolfs. E 29958/61 < Võnnu
- P. Rootslane (1897). - Mtº 156 D + [º171 B* 6)] + [171 B* 3)] + [88*] Entlohnung
für die Fahrt, 11 Varianten + Der Bär rächt sich, 2 Varianten + Der Bär klettert
dem Mann (Jungen) auf den Baum nach, 16 Varianten + Der Bär will Honig bekommen,
6 Varianten + über den Wolfsfang.

Die Schur des Pelzes
Einmal lebten irgendwo im Wald zwei Bären. Als der Bär in den Wald gegangen war, hörte die Bärin, daß jemand auf dem Weg kommt und singt. Sie kroch aus der Höhle heraus, um nachzuschauen, wer da kommt. Sie sah einen Schneider kommen, eine Schere und ein Bügeleisen in der Hand. Die Bärin griff gleich den Schneider an und fraß den Schneider mit dem ganzen Bügeleisen und der Schere auf.
Der Bär kam nach Hause und rief zu der Bärin:
"Komm und probiere, wie das Pferdefleisch schmeckt, das ich aus dem Wald brachte."
"Ich kann nicht kommen. Ich habe einen Schneider samt dem Bügeleisen in meinem Bauch; das Bügeleisen ist schwer zu verdauen."
Der Bär empörte sich:
"Warum hast du den Schneider aufgefressen! Er hätte mein langes Haar abschneiden können. Aber gut - ich gehe in die Stadt zum Barbier, der wird mich schon scheren."
Der Barbier hatte gerade warmes Wasser fertig, womit er seine sieben Kinder hatte waschen wollen. Nun machte er aber gleich Schaum und scherte den Bären, bis ihm kein Haar mehr übrigblieb.
Als das Haar geschoren war, sagte der Bär:
"Komm, ich will dir bezahlen! Setz dich auf meinen Rücken!"
Der Mann setzte sich auf den Rücken des Bären. Der Bär brachte ihn in seine Höhle und sagte:
"Nimm so viel Geld, wie du willst."
Der Mann nahm Geld und machte in der Stadt einen Laden auf, dort wo sich bis heute der Bärenladen befindet.
122. Die Schur des Pelzes. A 5876 (11) < Põlva - J. Juurikson
(1924). - Mtº 156 E - 2 Varianten. Wahrscheinlich ein nach der Analogie des Haupttypus
AT 156 geschaffenes improvisatorisches Märchen.

Der Bär will den Fuchs auffressen
Ein Bär ging zu einem Fuchs und sagte:
"Ich bin hungrig und ich fresse dich auf."
Der Fuchs sagte:
"Lieber Onkel, ein so ehrwürdiger Mann wie du hat von mir doch gar nichts. Ich bin fast nichts als nur langes Haar und einem so ehrwürdigen Herrn wie du paßt es doch nicht, bloßes Haar zu fressen. Du wirst schon bessere Nahrung bekommen, wenn du meinem Rat folgst."
Der Bär fragte:
"Wie bekomme ich bessere Nahrung?"
Der Fuchs sagte:
"Der Weg ist nicht weit weg von hier. Geh einem Menschen entgegen, schlage ihn tot, nimm in den Schoß und bringe etwas abseits. Dann hast du eine köstliche Speise. Menschenfleisch schmeckt süß."
Während sie so sprachen, fuhr auf dem Weg eine Kutsche mit vier Pferden vorbei.
Der Bär fragte:
"Ist das ein Mensch?"
Der Fuchs sagte:
"Dort sind mehrere Menschen, aber du kannst sie nicht fangen. Sie haben große Pferde vor der Kutsche, die können schnell laufen. Die laufen viel schneller, als du auf deinen kleinen Füßen laufen kannst."
Als sie so sprachen, hoffte der Fuchs, daß ein Jäger vorbeikommen wird, den er dort oft gesehen hatte.
Statt dessen kam aber ein Reiter.
Der Bär fragte:
"Ist das ein Mensch?"
Der Fuchs antwortete:
"Das ist wohl ein Mensch, aber du kannst ihn nicht fangen. Er sitzt auf dem Pferd, das Pferd aber läuft schneller als du."
Dann kam der Jäger. Der Bär fragte den Fuchs:
"Ist das ein Mensch?"
Der Fuchs sagte:
"Jaa, das ist ein Mensch. Geh ihm entgegen. Wenn du anfängst zu gehen, mache ein lautes Geräusch, dann erschrickt er und kann nicht mehr weglaufen."
Der Jäger hörte das Brummen des Bären und blieb stehen. Er nahm seine Flinte, lud die Waffe und wartete, bis der Bär näher kommt. Als der Bär in die richtige Entfernung kam, schieß der Jäger auf ihn eine Kugel ab. Der Bär schüttelte sich etwas und ging weiter. Der Jäger schoß zum zweiten Mal. Der Bär wankte und wäre schon fast umgefallen, konnte aber doch stehen bleiben und weitergehen. Als er dem Jäger schon ganz nah war, schlug der Jäger ihn mit seinem Schwert auf den Kopf. Der Bär fing an zu brüllen und stieg auf die hinteren Pfoten. Der Jäger schlug mit dem Schwert einmal auf die eine Pfote, dann den zweiten Schlag auf die andere Pfote, der Bär kehrte sich brüllend um und ging zurück zu dem Fuchs.
Der Fuchs sagte:
"Lieber Onkel, du hast ja wirklich reichlich gefressen, wenn von den Haaren deines Huts schon roten Saft tropft."
Der Bär sagte:
"Ich habe nichts bekommen, gut daß ich noch mein Leben retten konnte, sei es mit meiner Gesundheit, wie es ist. Als ich weiterging, blies der Mensch mir Rauch ins Gesicht. Das brachte mich zum Schütteln. Als er mir aber zum zweiten Mal den Rauch blies, fing ich schon an zu wanken. Ich mußte fast umfallen, aber konnte mich doch fassen und weitergehen. Als ich ihm ganz nahe ging, gab er mir mit einem glänzenden Ding einen Schlag auf den Kopf. Das tat mir sehr weh. Ich fing an zu brüllen und stieg auf meine hinteren Pfoten; dann gab er mir mit seinem glänzenden Ding einen Schlag auf die eine Pfote, einen Schlag auf die andere Pfote. Ich kehrte um und kam zurück zu dir."
Der Fuchs sagte:
"Wenn du nochmal drohst, mich aufzufressen, werde ich dich zu einem solchen Menschen schicken, der dir das Leben nimmt," und der Fuchs lief weg.
Mehr nichts.
123. Der Bär will den Fuchs auffressen. ERA II 182, 225/8 (13)
< Laiuse, Laius-Tähkvere v. - Fr. Eichenbaum < Peeter Käär (1938). - AT 157 -
Man muß den Menschen fürchten, 40 Varianten. In Estland in Kontaminationen mit
dem Typus AT 162*.

Der geteerte Ochse
Es lebte einmal ein sehr armer Mann. Er hatte gar kein Vermögen. Er beschloß, sich einen teerigen Ochsen zu machen. So machte er tatsächlich einen teerigen Ochsen und brachte ihn zu einem Heuhaufen fressen. Er selbst ging in den Busch Wache halten.
Er sah, wie ein Eichhörnchen kam und sagte:
"Ochse, Ochse, warum frißt du mein Heu!"
Der Ochse antwortete:
"Das ist nicht dein Heu, das ist Gottes Heu."
Dann sagte das Eichhörnchen:
"Ochse, Ochse, ich springe dir auf den Rücken!"
De Ochse erwiderte:
"Ich habe nichts dagegen."
Das Eichhörnchen sprang auf den Rücken des Ochsen und sank ins Teer.
Der Mann sah aus dem Busch einen Hasen kommen.
Der Hase sagte:
"Ochse, Ochse, warum frißt du mein Heu!"
Der Ochse antwortete:
"Das ist nicht dein Heu, das ist Gottes Heu."
Der Hase sagte wieder:
"Ochse, Ochse, ich springe dir auf den Rücken!"
Er sprang auf den Rücken und blieb im Teer stecken.
Es kam ein Fuchs.
Auch der Fuchs sagte:
"Ochse, Ochse, warum frißt du mein Heu!"
Der Ochse erwiderte:
"Das ist nicht dein Heu, das ist Gottes Heu."
Der Fuchs sagte:
"Ochse, Ochse, ich springe dir auf den Rücken!"
Der Ochse antwortete:
"Meinetwegen."
Der Fuchs sprang auf den Rücken und sank ins Teer.
Es kam ein Bär und sagte:
"Ochse, Ochse, warum frißt du mein Heu!"
Der Ochse wieder:
"Das ist nicht dein Heu, das ist Gottes Heu."
Der Bär seinerseits:
"Ich springe dir auf den Rücken!"
Er sprang auf den Rücken und sank ins Teer.
Es kam ein Wolf:
"Ochse, Ochse, warum frißt du mein Heu!"
Der Ochse sagte:
"Das ist nicht dein Heu, das ist Gottes Heu."
Auch der Wolf sagte:
"Ochse, Ochse, ich springe dir auf den Rücken!"
Er sprang auf den Rücken und auch er blieb im Teer stecken.
Der Mann wartete noch einige Zeit, aber niemand mehr kam. Dann dachte er: "Ich heize eine heiße Sauna und bringe den Ochsen in die heiße Sauna." Er heizte die Sauna und brachte den Ochsen in die heiße Sauna. Er selbst nahm ein Messer und setzte sich vor die Sauna, um das Messer zu wetzen. Dabei sagte er:
"Ich wetze und wetze das Messerchen,
der Griff ist aus Lindenholz,
um den Hals des Eichhörnchens zu schneiden,
in die Kehle des Eichhörnchens zu stechen."
Das Eichhörnchen sprang hinaus:
"Lieber Mann, guter Mann!
Schneide meinen Hals nicht,
stich in meine Kehle nicht!
Ich werde dir zwei Säcke voll Nüsse bringen!"
Der Mann wetzte weiter:
"Ich wetze und wetze das Messerchen,
der Griff ist aus Lindenholz,
um den Hals des Hasen zu schneiden,
in die Kehle des Hasen zu stechen."
Der Hase sprang hinaus:
"Lieber Mann, guter Mann!
Schneide meinen Hals nicht,
stich in meine Kehle nicht!
Ich werde dir zwei Säcke voll Kohl bringen!"
Wieder wetzte der Mann weiter:
"Ich wetze und wetze das Messerchen,
der Griff ist aus Lindenholz,
um den Hals des Fuchses zu schneiden,
in die Kehle des Fuchses zu stechen."
Der Fuchs sprang hinaus:
"Lieber Mann, guter Mann!
Schneide meinen Hals nicht,
stich in meine Kehle nicht!
Ich werde dir zwei Hühnerstangen voll Hennen bringen!"
Wieder wetzte der Mann weiter:
"Ich wetze und wetze das Messerchen,
der Griff ist aus Lindenholz,
um den Hals des Bären zu schneiden,
in die Kehle des Bären zu stechen."
Der Bär sprang hinaus:
"Lieber Mann, guter Mann!
Schneide meinen Hals nicht,
stich in meine Kehle nicht!
Ich werde dir zwei Fässer Honig bringen!"
Wieder wetzte der Mann das Messer:
"Ich wetze und wetze das Messerchen,
der Griff ist aus Lindenholz,
um den Hals des Wolfs zu schneiden,
in die Kehle des Wolfs zu stechen."
Der Wolf sprang hinaus:
"Lieber Mann, guter Mann!
Schneide meinen Hals nicht,
stich in meine Kehle nicht!
Ich werde dir zwei Ställe voll Schafe bringen!"
Der Mann ging auf den Hof, um nachzusehen, ob die Tiere ihn betrogen hatten. Er sieht das Eichhörnchen mit zwei Säcken von Nüssen kommen, die so schwer sind, daß es keuchen muß. Siehe, der Hase kommt hinterher, zwei Säcke mit Kohl auf dem Rücken. Auch er keucht. Dann sah er, wie der Fuchs mit zwei Hühnerstangen voll von weißen Hennen kam. Er sah den Bären kommen, zwei Fässer mit Honig auf dem Rücken, so daß er ächzte. Er sah den Wolf mit zwei Ställen voll Schäfe kommen, alle weiß, und sie mit dem Schwanz weitertreiben.
Wer seinen Kram abgegeben hatte, ging weg und ließ den Kram dem Alten.
Der Mann sagte froh:
"Alles ist gut. Jetzt habe ich etwas Vermögen, um zu leben."
Die Geschichte ist zu Ende.
124. Der geteerte Ochse. RKM II 28, 114/9 (1) < Setu, Vilo v.;
k. - Salme Lõhmus < Maria Pajustik, 67 a. (1949). - AT 159 - 7 Varianten. Bekannt
in der ostseefinnisch-baltischen Region und bei den Slawen.

Das Weib überlistet den Bären
In der alten Zeit ging ein Weib in den Wald. Im Wald kam ihm ein Bär entgegen. Der Bär nahm das Weib fest und wollte es totbeißen. Plötzlich aber stellte er das Weib neben sich auf die Erde und fing an, etwas von dem Weib entfernt, ein Loch zu graben.
Gleichzeitig, als der Bär das Loch grub, legte das Weib sein Kopftuch auf einen Baumstumpf und legte dem Stumpf noch ein Umschlagetuch um. Es selbst machte sich aus dem Staub.
Ab und zu schaute das Weib zurück, um zu sehen, was der Bär gerade macht.
Er sah, daß der Bär wohl oft über seine Schulter schaute. Einmal ging er zu dem Weib und setzte sich auf seinen Mund, um zu sehen, ob das Weib noch lebt. Es ist klar, daß der Baumstumpf gar nicht atmete, und deshalb hatte der Bär Zeit genug, um das Loch zu graben und seine Jungen dorthin zu bringen. Bis zu dieser Zeit, als der Bär das Weib ins Loch bringen wollte, war es schon zu Hause.
So war es schlauer als der Bär. Deshalb sagt man auch: starker Bär und wenig Verstand. Und noch sagt man: Ein Bär hat die Kraft von acht Männern und den Verstand von zwei Männern.
125. Das Weib überlistet den Bären. H II 48, 394 (6) < Paistu,
Tuhalaane - Jaak Hünerson < A. Truusmann (1894). - [AT 160*] - 29 Varianten. In
drei estnischen Varianten hindert der Bär das Weib beim Fliehen: hebt ihm einen
Stein in den Schoß; anderswo wird von der Heirat des Weibes und des Bären erzählt.
Viele Varianten bleiben auf der Ebene eines Memorats oder einer lokalen Volkserzählung
und haben sich nicht zu einem Märchen gestaltet.

Der Bär mit einer abgehauenen Tatze
Ein Bär kam immer wieder den Hafer der Bauern fressen. Die Bauerleute sahen, daß schon viel Hafer aufgefressen worden war und der Schaden groß war und sie gingen lauern. Zwei Männer gingen in einen Haferschober. Der Bär kam. Sie konnten ihn nicht fangen, aber eine Pfote schlugen sie ihm doch ab.
Sie brachten diese Pfote nach Hause und gaben der Frau. Der Mann selbst legte sich auf den Ofen schlafen.
Die Frau sah, daß auf der Pfote eine dicke Wolle wuchs. Sie dachte, wenn sie die Wolle scheren würde, könnte sie für sich selbst, für den Mann und für die ganze Familie Handschuhe machen. Sie fing an, die Pfote zu scheren. Bald war sie mit der Arbeit fertig und machte Handschuhe für sich selbst, für den Mann und für die ganze Familie.
Die Pfote des Bären steckte sie in den Kessel.
Es kam der Bär unter das Fenster und sagte:
"Von meiner Wolle spinnt die Frau Garn für Handschuhe und Socken, aus meiner Pfote kocht sie eine Suppe."
Die Frau hörte jemanden auf einer sehr tiefen Stimme sprechen und bekam Angst. Sie ging hoch auf den Ofen.
Der Bär kam durch das Fenster herein, die Frau aber konnte fliehen. Sie flüchtete ins Dorf, rief die Männer zu ihrem Haus und sie töteten den Bären. So waren sie von dem Bären frei und niemand mehr strampfte und fraß in ihrem Hafer.
Die Dorfmänner zogen die Haut des Bären ab und bekamen noch mehr Wolle. Die Frauen schoren und sponnen, bis alle aus der Wolle des Bären Socken und Handschuhe bekamen, so viel, wie sie nur gebrauchen konnten.
Die Haut wurde verkauft, dafür bekamen die Männer Geld.
126. Der Bär mit einer abgehauenen Tatze. S 84029/31 (28) < Setu,
Vilo v., Saputje k. - Anna Tammeorg < Grigori Loomik, geb. 1872 (1934). - AT 161
A* - 4 Varianten. nur in Setu. In Rußland macht der Bär sich aus Lindenholz eine
neue Tatze und tötet den Mann.

Der Mann bestraft den Wolf
Einmal fragte ein Wolf eine Mücke:
"Du hast das Blut aller Tiere gesogen und weißt wohl, wer das beste Blut hat. Sag das auch mir, ich will dann auch das Fleisch und Blut dieses Tieres fressen."
Die Mücke sagte:
"Siehe, wer ein starker junger roter Mann ist, der hat das süßeste Blut."
Der Wolf ging in die Nähe eines Weges, um nachzuschauen, ob ein junger Mann bald kommt. Es kam bald tatsächlich ein starker junger Mann den Weg entlang.
Der Wolf ging ihm entgegen und sagte:
"Ich zerreiße dich jetzt und fresse auf."
Der junge Mann antwortete:
"Wieso? Wie kannst du mich so zerreißen? Laß mich zuerst für mich das Kreuz meiner Seele anfertigen!"
Der Wolf erlaubte es ihm, das zu tun. Der Mann schritt über den Weg in den Wald und schnitt sich einen starken Stock. Dann kam er zurück auf den Weg zu dem Wolf.
Der Wolf machte sein Maul breit auf und sagte:
"Siehe, durch dieses Loch gehst du herein!"
Dann drehte er seinen Hinterteil zu dem Mann und sagte:
"Siehe, durch dieses Loch kommst du heraus."
Gleich, als er vor dem Mann seinen Schwanz gehoben hatte, griff der Mann seinen Schwanz fest, drehte ihn einmal um die Hand und fing an, den Wolf mit dem Stock auf die beiden Seiten zu schlagen. Er schlug solange, bis er schon selbst ganz müde wurde. Dann ließ er den Wolf los.
Der Wolf ging traurig heulend in den Wald und wälzte sich wegen des Schmerzes drei Tage lang im dicken Wald. Die Seite, die der Mann am meisten geprügelt hatte, wurde völlig kahl.
Am dritten Tag konnte er schon ein bißchen laufen. Die anderen Wölfe fragten, was mit seiner Seite passiert war, daß das ganze Haar verschwunden war. Der verprügelte Wolf log, er habe zu lange im Sonnenschein geschlafen, wegen der Sonne habe sich das Haar vom Körper abgelöst.
Ein anderes Mal hatte der Wolf ein Rebhuhn gefangen und wollte es auffressen. Das Rebhuhn sagte:
"Wie kannst du mich so fressen? Schaue zuerst nach, von welcher Richtung der Wind weht!"
Der Wolf antwortete:
"Aus Nardan."
Sobald er das gesagt hatte, kam das Rebhuhn frei und flog weg. Der Wolf wollte sagen "der Wind ist aus Norden", aber in Eile sagte er "der Wind aus Nardan". Bei diesem Wort ging ihm das Maul auf und das Rebhuhn konnte wegfliegen.
127. Der Mann bestraft den Wolf. H II 22, 1098/100 (8) < Saarde
- Peeter Kangur (1889). - AT 162* + 6 - Der Mann bestraft den Wolf, 47 Varianten
+ Die Richtung des Windes, 24 Varianten. AT 162 bildet oft eine Einleitung zu
der weit bekannten Geschichte AT 121 "Die Wölfe einander auf dem Rücken" und wird
in vielen Katalogen als Teil dieses Erzähltypus bezeichnet. Bei den Lappländern
wird der Typus getrennt notiert; dort fehlt das Motiv des Hochkletterns auf einen
Baum. (NB! Es gibt dort ja keine Bäume.) AT 6, ebenso bekannt bei vielen anderen
Völkern, knüpft sich in Estland an die Kontaminationen AT 100 + 3/4, AT 1 + 2
+ 3/4 und an die Typen AT 56 und AT 61 als Ende der Geschichte.

Der Wolf fürchtet den Furz
Es lebten einmal Sönchen und Großmutter und Großvater und die Eltern des Söhnchens. Sie lebten mittelmäßig.
Sie lebten solange, wie sie lebten, da wurden sie eingeladen und sie gingen. Das Großmütterchen blieb allein zu Hause.
Eines Abends kam eine große Herde von Wölfen und das Großmütterchen machte schnell die Tür zu. Die Wölfe gingen weg. Aber am nächsten Abend kam ein Wolf allein zurück. Das Großmütterchen sah, daß ein Wolf ins Haus kam, und es versteckte sich in einer Ritze in der hinteren Wand. Der Wolf suchte alle Ecken durch, aber fand nichts. Er ging weg.
Das Großmütterchen kam aus der Ritze der Wand heraus und sagte:
"Der Wolf suchte, der Wolf schnüffelte!
Er fand nicht, wo das Großmütterchen war!
Tsetki-paabki.
Der Wolf wußte nicht, wo das Großmütterchen war.
Das Großmütterchen war in der Ritze der Wand."
Der Wolf sagte:
"Ein anderes Mal bin ich klüger."
Es kam wieder der nächste Abend. Der Wolf kam wieder ins Haus. Das Großmütterchen sah, daß der Wolf draußen war.
"Ich gehe in ein gebohrtes Loch!"
Es ging.
Der Wolf kam ins Haus. Suchte und suchte, aber fand das Großmütterchen nicht. Er ging weg ins Dorf.
Das Großmütterchen schimpfte:
"Tsutki-pabki!
Der Wolf fand gar nicht, wo das Großmütterchen war!
Das Großmütterchen war im gebohrten Loch!"
Der Wolf wieder:
"Ein anderes Mal werde ich wohl klüger sein."
Es kam der dritte Abend. Der Wolf redete vor sich hin:
"Ich werde dich schon auffressen!"
Das Großmütterchen sah wieder, daß der Wolf kam. Es dachte: Wohin sollte ich jetzt gehen - in gehe in das Dünnbierfaß unter den Satz, das weiß der Wolf nicht.
Es ging das Großmütterchen unter den Dünnbiersatz. Der Wolf kam ins Haus und sagte:
"Ich werde dich schon aussuchen!"
Suchte und suchte, er schaute auch in das Dünnbierfaß - niemand war da. Wer weiß, wohin das Großmütterchen gegangen war. Ich gehe und sehe nach, vielleicht ist es im Tischschrank. Er sah nach - es war niemand da.
Dieses Dünnbierfaß war aber dem Tischschrank ganz nah. Das Großmütterchen hatte im Dünnbierfaß Angst. Es furzte ganz laut, und das schlug den Deckel des Dünnbierfaßes ab, gerade dem Wolf auf den Kopf.
Der Wolf wurde wütend und ging nachsehen, wer dort ist. Das Großmütterchen furzte noch einmal ganz laut, noch lauter als früher. Das spritzte die Augen des Wolfs den Dünnbiersatz ganz voll. Der Wolf machte, daß er wegkam.
Mit Mühe konnte er aus dem Haus hinaus, seine Augen mit dem Dünnbiersatz zugedeckt. Er ging zum See waschen.
Ein Jäger kam zum See und sah, daß sich ein Wolf dort wäscht. Er tötete den Wolf.
Das Großmütterchen kam auch aus dem Dünnbierfaß heraus und lachte so, daß ihm Tränen in die Augen kamen.
Es kam der vierte Morgen. Die Familie kam vom Besuch nach Hause.
Das Großmütterchen erzählte:
"Ein Wolf wollte mich auffressen. Ich flüchtete in den Dünnbiersatz. Dort furzte ich ganz laut, so daß das ganze Haus bebte. Der Wolf lief in vollem Trab in den Wald, selbst sagte er: "Ich wollte es verschlingen, bevor die anderen nach Hause kommen, aber konnte nicht.""
Die Hausangehörigen waren sehr froh. Dieser Wolf war so dumm wie der Hund des Popen.
Sie lebten solange, wie sie lebten, dann aber hörten sie, daß ein Jäger einen Wolf, der sich beim See gewaschen hatte, getötet hatte.
Das Großmütterchen ging zu dem Jäger und sagte:
"Grüß dich des heutigen Tages!"
Der Jäger seinerseits:
"Grüß dich, um Gottes Willen, willkommen!"
Nun sprachen sie untereinander, daß "Siehe da, ich hatte mal ein solches Alleinsein zu Hause. Ein Wolf wollte mich auffressen. Ich versteckte mich im Dünnbierfaß, unter dem Satz. Da furzte ich ganz laut, so daß das ganze Haus dröhnte und bebte und dem Dünnbierfaß der Deckel absprang. Der Dünnbiersatz schlug dem Wolf die Augen zu."
Der Jäger sagte:
"Vielleicht war er dann derjenige, den ich tötete. Dieser kam zum See sich waschen."
"Aha! Das war dann dieser, der mich auffressen wollte."
Das Großmütterchen kam dann auch wieder nach Hause und erzählte auch den anderen, daß unser Nachbar, der Jäger, diesen Wolf tot gemacht hatte.
Dieser Wolfstöter führte aber nachher ein gutes Leben. Es bekam gegen den Wolf viel Geld und wurde reich.
Das Großmütterchen ging dann eines Tages auf den anderen Bauernhof, wo dieser Jäger wohnte. Er fragte von ihm etwas für seine Halbstiefel. Der Jäger hatte nichts dagegen und kaufte ihm sehr gute Halbstiefel.
Wenn sie noch nicht gestorben sind, lebt das Großmütterchen heute noch und alle anderen auch.
128. Der Wolf fürchtet den Furz. S 43224/31 (8) < Setu, Vilo v.
- Nikolai Oinas < Maria Sootalu, geb. 1885 (1932). - Mtº 162 B - 9 Varianten.
Bekannt nur in Setu. Kann mit den Typen AT 43, 130 A oder 163 kontaminiert sein.

Der Wolf schwimmt
In der früheren Zeit gab es solche Zauberer, die die wilden Tiere gehorsam machen konnten. Zwei solche weisen Leute lebten nahe zueinander, nur durch einen Fluß getrennt.
Einmal kam ein Wolf zu einer Schafherde. Der Bauer sah das und sagte:
"Warum kommst du hierher, du sollst doch lieber auf das andere Flußufer gehen, dort sind auch Schafe!"
Gleich schwamm der Wolf durch den Fluß.
Dort sagte der andere:
"Warum kommst du auf diese Seite, auf dem anderen Ufer gab es doch Schafe genug!" und der Wolf schwamm zurück.
So schwamm der Wolf den ganzen Tag, bis er müde wurde.
129. Der Wolf schwimmt. E 70665 (5) < Rapla, Harju-Kabala v.,
Nõmmemetsa k. - Jaan Uustalu (1930). - Mtº 162 C - die einzige Variante.

Der Bär verscheucht Fliegen
Einmal ging ein Mann zusammen mit einem Bären Holz schlagen. Als die Bäume gefällt waren, wollte der Mann sich etwas erholen. Er legte sich unter einen Baum und befahl dem Bären, die Fliegen abzuwehren.
Eine Fliege aber achtete die Strebungen des Bären kaum, sondern flog immer wieder auf die Stirn des Mannes. Das machte den Bären ärgerlich. Er nahm vom Boden einen großen Stein und warf die Fliege tot.
Zusammen mit der Fliege kam auch der Mann um.
130. Der Bär verscheucht Fliegen. E 72988 (1) < Tallinn - B. Lorenzonn
(1898). - AT 163 A* - 12 Varianten. Das ist das Lieblingssujet der Fabelschreiber.
Die aus Tallinner Schulen stammenden Aufschreibungen sind beeinflußt von gedruckten
Fassungen.

Das Testament des Wolfs
Nach der Erzählung der alten Leute sei ein alter Wolf einmal schwer krank geworden.
Die Wolfsjungen kamen ihn besuchen und fragten:
"Vaterchen, hast du bei jemandem noch Schulden?"
"Nein, Söhnchen! Ich schulde nichts. Bloß Schuldner habe ich überall, wohin man nur geht."
Der alte Wolf starb. Alle Enkel kamen zur Beerdigung und begruben den Vater. Dann lagen sie einige Zeit auf ihren Bäuchen. Zum Schluß sagte der älteste Sohn:
"Jetzt, Brüder, los zur Beute! Jeder in seine Richtung!"
Einer kam in eine Gänseherde und griff eine Gans an. Die Gans fing an zu bitten:
"Ehrwürdiger Herr! Ich bitte um Erlaubnis, vor meinem Tod noch ein paar Worte zu singen!"
"Gut, singe!"
Die Gans flog um den Wolf und sang:
"Kaak - kaak - kaak!"
So kam sie hinter den Wolf und stieg in die Luft.
Der Wolf empörte sich:
"Will ich ein Pastor oder Lehrer werden, daß ich Interesse an Liedern habe? Jetzt muß ich leer ausgehen."
131. Das Testament des Wolfs. E 47401 (10) - < Pärnu - A. Karu
(1910). - AT 164* + 227 - Das Testament des Wolfs, 2 Varianten + Die Gänse bitten
um Erlaubnis, zu beten, 4 Varianten.

Der fromme Wolf
Ein Wolf war in einen leeren Brunnen gefallen und heulte dort kläglich.
Ein Mann ging zufällig vorbei und sah den Wolf im Brunnen.
Der Wolf bat, daß der Mann ihn heraushelfen würde. Der Mann sagte:
"Ich werde dich wohl nicht heraushelfen, du zerreißt Haustiere und verursachst den Menschen viel Schaden."
Der Wolf schwor dem Menschen, daß er nie mehr jemanden zerreißen will. Nur an großen Festtagen will er Fische fangen und sich damit nähren, was im Wasser zu finden ist.
Zum Schluß half der Mann den Wolf aus dem Brunnen heraus.
Der Wolf ging weg. Bald fand er ein Schwein sich in einer Wasserpfütze wälzen. Sofort zerriß er das Schwein. Der Mann ging zufällig vorbei und sah das geschlachtete Schwein. Er sagte:
"Du hast doch geschworen, nie ein Tier zu zerreißen, jetzt hast du aber trotzdem ein Schwein zerrissen!"
Der Wolf sagte:
"Ich zerreiße doch nicht, ich fange Fische! Was immer ich im Wasser finde, gehört mir!"
"Du hast doch versprochen, an großen Festtagen Fische zu fangen," sagte der Mensch.
"Es gibt kein größeres Fest als den heutigen Tag! Ich fange Fische und feiere diesen Tag wie ein großes Fest, da ich mit dem Leben aus dem Brunnen davongekommen bin."
132. Der fromme Wolf. E 25959/60 < Ambla, Jootma - J. Neublau
(1896). - Mtº 165 C - 7 Varianten. Die einzigen zwei Texte, wahrscheinlich vom
Druckwort beeinflußt (Lindfors 1855).

Der scheinheilige Wolf
Der Wolf hatte ein Schaf totgebissen und fraß es auf. Es vergingen einige Tage, dann wurde der Wolf vors Gericht gerufen, um seine Tat zu erklären. Der Wolf ging. Unterwegs dachte er nach, wie er am leichtesten könnte freigesprochen werden. Nach langem Überlegen kam er auf einen guten Gedanken. Als der Wolf vor den Richter trat, sagte er:
"Sehr geehrter Herr Richter, ich habe dieses Schaf nicht zerrissen, ich fand es im Erlenwald schon tot."
Der Richter:
"Warum hast du das tote Schaf nicht zu mir gebracht?"
"Es war schon Abend und ich hatte nicht den Mut, in der Dunkelheit zu kommen."
"Warum bist du denn nicht am Morgen gekommen?"
"Dann war von dem Schaf kein Beinchen mehr über," antwortete der Wolf demütig.
133. Der scheinheilige Wolf. E 72988 < Harju-Madise, Keila v.
- A. Elling - Mtº 165 D - die einzige Variante.

Eine alte Geschichte von der Kahlseite
Früher gab es sehr viele Wölfe, die immer Haustiere zerrissen. Einmal grub ein Wolf wieder ein Loch in die Wand des Schafestalls und wollte Schafe stehlen. Er stach seinen Schwanz durch das Loch hinein und als die Schafe ihn riechen kamen, drehte er sich schnell um und biß die Mäuler der Schafe blutig. So machte er in vielen Nächten, konnte die Schafe aber trotzdem nicht fangen.
Der Bauer sah, daß die Nasen der Schafe bluteten, er wußte aber nicht, warum. Als es schon mehrere Morgen so gewesen war, dachte er, daß es hier nicht mehr mit rechten Dingen zugeht.
Er ging in der Nacht in den Stall lauern. Der Wolf kam wieder und stach den Schwanz durch das Loch hinein. Der Bauer griff den Wolf am Schwanz und prügelte seine eine Seite, bis sie kahl wurde. Dann ließ er den Wolf los.
Bald danach ging der Bauer in den Wald, um Zweige zum Korbflechten zu holen. Die Kahlseite sah ihn und dachte, daß nun die richtige Zeit gekommen war. Er brachte auch andere Wölfe und sie wollten den Mann zerreißen.
In großer Angst kletterte der Mann auf einen Baum. Die Wölfe fingen an, an dem Baum zu kauen. Sie kauten solange, bis der Baum anfing zu wanken. Der Mann sah, daß er etwas vornehmen muß, sonst würden die Wölfe ihn zerreißen.
Dann kam er auf einen guten Gedanken. Er fing an, unterwärts zu klettern und sagte:
"Wartet, ich will euch Unterricht geben! Wenn ich die anderen nicht fangen kann, dann die Kahlseite wird sich wohl nicht retten können!" Die Wölfe bekamen Angst und liefen weg. Die Kahlseite an der Spitze und die anderen hinterher. Lachend kletterte der Mann zurück auf die Erde und ging nach Hause. Von dieser Zeit an habe er ohne seine Flinte nicht mehr in den Wald gegangen.
134. Eine alte Geschichte von der Kahlseite. A 99825 (2) < der
Ort des Aufschreibens nicht bekannt - Hilda Trepp < T. Loy (1928). - [AT 166 A*
1)] + 121 - Der Wolf scheucht die Schafe, 56 Varianten + Die Wölfe einander auf
dem Rücken, 44 Varianten.

Der Mann nimmt dem Wolf den Widder weg
In einem Ort war das Vieh im Wald. Ein Wolf stahl vom Vieh einen großen Schafbock, so daß die Hirten nichts merkten. Der Schafbock war sehr groß und schwer, der Wolf konnte ihn nicht auf seinen Rücken heben. Dann griff er an der Wolle des Rückens und so gingen sie nebeneinander den Weg entlang.
Es kam ihnen ein Mann entgegen und sagte:
"Ist das aber ein großes Wunder! Wohin willst du den Schafbock bringen?"
Er griff an den Hörnern des Schafbocks und der Wolf machte sein Maul auf. Es tat ihm sehr leid, daß er den Schafbock verlassen mußte. Er ging leise in den Wald und klapperte mit Zähnen.
Der Mann brachte den Schafbock zurück zum Vieh und sagte den Hirten:
"Schau! Der Wolf wollte den Schafbock stehlen."
Er ließ den Schafbock bei den anderen Tieren zurück.
135. Der Mann nimmt dem Wolf den Widder weg. S 49753 (14) < Setu,
Vilo v. - Aleksei Põhi < Anastasia Paloots, geb. 1863 (1932). - [Mtº 166 A* 3)]
- 1 Variante.

Der Mann zieht den Wolf am Schwanz
Ein weißköpfiger Wolf ging viele Male das Pferd eines Mannes aus Hiiumaa lauern. Einmal ging der Mann das Pferd nach Hause holen und sah, wie der Wolf sich kriechend dem Pferd näherte.
Der Mann fing an, im derselben Landvertiefung dem Wolf hinterher zu kriechen. Der Wolf hörte hinter sich ein Geräusch, dachte dort seinen Bruder zu kommen und schlug mit dem Schwanz patsch, patsch, mit dem Ziel, daß der andere dann aufhört, sich so laut zu bewegen. Der Mann aber griff am Schwanz des Wolfs und rief:
"Geh weg!"
Och, du Donnerwetter, wie stürzte der Wolf davon, so daß er einen Wasserguß von sich gab. Nie mehr hatte der Wolf den Mut, das Pferd des Mannes lauern zu kommen.
136. Der Mann zieht den Wolf am Schwanz. E 30202 (9) < Hiiumaa
- J. Johannes (1897). - [AT 166 B* 1)] 3 Varianten.

Die Klugheit des Wolfs
Wieder einmal ging derselbe Jäger nicht weit von Vanaküla in den Wald Rebhühner jagen. Im dicken Wald gab es einen Teich, an dessen Küste machte der Mann ein Feuer. Er selbst setzte sich neben das Feuer und wartete auf die Beute. Plötzlich sah er zwei Lichter leuchten und dachte, dort sei ein Wolf.
Der Mann hatte Lust, dem Wolf einen Streich zu spielen. Er legte seine Flinte in die Nähe, so daß er sie notfalls gleich greifen könnte, und machte, als würde er schlafen.
Der Wolf kam zu dem Mann, roch den Mann von allen Seiten, stieß sogar mit der Nase und glaubte, daß der Mann wirklich schläft. Er ging zum Feuer und harnte ins Feuer. Da das Feuer natürlich noch nicht erlosch, ging er in den Teich, wälzte sich dort, bis er naß und dreckig war und kam zurück zum Feuer. Den ganzen Dreck und das Wasser, den er nun an seinem Haar trug, schüttelte er auf das Feuer. Dann schaute er wieder auf den Mann und ging nochmal Dreck und Wasser holen. So ging er dreimal. Das Feuer war beinahe erloschen.
Der Mann dachte: Wenn der Wolf zum vierten Mal kommt, wird er mich angreifen. In der Angst, daß "man nach langer Lust weinen wird", schoß er den Wolf tot.
137. Die Klugheit des Wolfs. H, Mapp 638 < Põlva, Vanaküla - Johann
Semm < J. Lutsar (1903). - [AT 166 B* 2)] - Der Wolf spritzt Wasser, 16 Varianten.

Der Wolf schüttelt Schlamm
Sieben Männer machten an der Grenze zu Rußland Heu. An der Grenze floß ein Fluß. An der russischen Seite war ein dicker Wald. An der estnischen Seite war eine Heuwiese. Es war Mittagspause. Man saß neben einem Busch und aß. Auch das Pferd fraß am Hügelrand.
Wir sahen einen großen Wolf von der russischen Seite kommen, er schwamm durch den Fluß und ging zu dem Pferd. Wir wollten sehen, was er jetzt anfängt.
Das Pferd fraß. Der Wolf fing an, in der Richtung des Pferdes mit seinem Schwanz zu wedeln. Das Pferd blieb gleichgültig. Der Wolf ging um das Pferd, das Pferd aber hob immer noch nicht den Kopf.
Dann ging der Wolf zum Fluß und fing an, seinen Schwanz an den Sand zu reiben. Dann kam er zurück zu dem Pferd. Sobald er seinen Schwanz schüttelte, hob das Pferd den Kopf. Der Wolf hatte seinen sandigen Schwanz geschüttelt, die Sandkörner sprangen dem Pferd in die Augen, das tat dem Pferd weh und es mußte den Kopf hochheben. Der Wolf aber sprang krapst! an den Hals des Pferdes und biß es tot.
Dann lief er zum Fluß, schwamm durch und ging in den Wald, so daß man nichts dafür konnte.
138. Der Wolf schüttelt Schlamm. ERA II 186, 28/30 (9) < Rõuge,
Haanja v., Voki k. - Ludvig Raudsepp < der alte Hausbesitzer Seim, geb. 1875 (1938).
- [AT 166 B* 3)]

Der Bär schleppt den Wagen
Ein Mann war in der Stadt im Wagenzug gewesen und kam nun nach Hause. Er hatte ein sehr mageres Pferd vor dem Wagen. Das Kumt hatte den Hals des Pferds zerrieben. Das Pferd konnte nicht mehr weitergehen, es war schon zu hungrig. Das Pferd fing an, an den Wegrändern Gras zu fressen. Das Kumt war zu groß, fiel vom Hals und das Pferd ging weg. Der Mann selbst schlief auf dem Wagen.
Bald kam ein Bär und fing an, das Blut zu lecken, das aus dem Hals des Pferdes auf das Kumt getropft hatte. Er steckte seinen Kopf durch das Kumt und konnte nicht mehr loskommen.
Der Mann wurde wach, fing an, mit der Peitsche zu schlagen, dachte das Pferd vor dem Wagen zu laufen. Aber was für ein Wunder, wie heißblütig das Pferd plötzlich geworden war! Es lief samt dem Mann und Wagen in den Wald! Es zog den Wagen gegen die Bäume, so daß die Reimen rissen und das Pferd selbst weglief.
Der Mann fand später sein Pferd im Wald und fuhr nach Hause. Bis zum heutigen Tag erinnert der Mann an diesen gesegneten Tag, als ihm ein Bär zum Pferd war.
Amen.
139. Der Bär schleppt den Wagen. E 36977/8 (29) < Rapla, Raiküla
- Martin Rekkaro (1898). - [AT 166 B* 4)] - 4 Varianten.

Leichter Entenfang
Bei der Kneipe von Luulupää gab es im Frühling viele Enten. Zu dieser Zeit gab es dort im Sumpf viel Wasser und die Enten sogar lebten dort. Mit einer Flinte konnte man da nichts anfangen. Man hätte ihnen nahe kommen können, aber nach dem ersten Schuß wären die anderen Enten weggegangen.
Ich tat dann ein Stück Speck an den Angelhaken und dem Angel eine lange Schnur hinterher. Bald fraß eine Ente das Speckstück auf und damit auch den Angel.
Der Speck aber war glitschig und kam bald lupsti! der Ente von hinten heraus. Eine andere Ente fraß ihn wieder auf, aber auch ihr kam der Speck bald durch. So fraßen die Enten nacheinander den Speck auf und blieben der Reihe nach an der Schnur des Angels stecken.
Zum Schluß wollte ich sie zu mir ziehen. Die Enten flogen in die Luft und es waren so viele, daß sie auch mich hoch trugen. Da half nichts mehr, nur gehe mit! Zuerst gingen sie immer höher und höher.
Zum Schluß wurden sie schon müde. Bei dem Gutshof von Suulupää fingen sie schon an, herunterzufallen. Sie fielen in den Schornstein und durch den Schornstein in die Küche. Das Küchenmädchen Mare war gerade dabei. Ich drehte einigen Enten den Hals um und gab sie Mare: na, mach mal den Braten fertig.
140. Leichter Entenfang. ERA II 276, 317/8 (17) < Karja, Pärsamaa
v. - Oskar Grepp < Miina Nurme, geb. 1874 (1940). - AT 167 A* - 3 Varianten. Eine
analoge Geschichte (das Fangen eines Bären mit Hilfe eines mit Honig beschmierten
Baumes) kennt man in Lettland.

Der Musikant in der Wolfsgrube
In Martu war einmal ein Junggeselle, der am Geigenspiel sehr gut war. Er war unterwegs von der Stadt nach Hause. In der Nacht war es aber sehr dunkel. Er ging durch den Gutshof von Viimsi. Wenn man bei dem Berg von Viimsi bergunter kommt, fängt ein großer Fichtenwald an und der Weg gabelt sich: die eine Abzweigung führt ins Dorf Leppneeme. Der Mann aber ging den falschen Weg in die Richtung von Rohiküla. Dort verirrte er sich so, daß er nicht mehr aus dem Wald hinauskommen konnte.
Plötzlich fiel er in ein großes Loch karsumm! Die Männer aus der Gemeinde von Viimsi hatten dort eine Wolfsgrube gegraben und dort fiel er hinein. Ein Wolf saß aber schon früher da. In dieser Zeit gab es überhaupt viele Wölfe.
Als er so auf den Rücken des Wolfs fiel, fing der Wolf an, böse zu knurren. Der Mann hatte Angst, daß der Wolf ihn nun totbeißen würde.
Der Mann hatte aber auch etwas Glück, seine Geige war nämlich heil geblieben. Der Mann dachte, daß ein Ausweg sowieso unmöglich ist, also muß man es mit der Geige versuchen. So fing er an, Geige zu spielen, der Wolf heulte mit und interessierte sich für den Mann kaum mehr.
So dauerte das Geigenspiel bis zum Morgen und gleichweise auch das Heulen des Wolfs. Die Hände des Manns waren schon müde, wenn er aber aufhörte, fing der Wolf an zu knurren und er mußte weiterspielen. Am Morgen war die Hand des Manns schon wund vom Spielen.
Andere Männer wollten am Morgen nachschauen, was sie gefangen hatten. Sie hörten schon von fern etwas Seltsames - was soll das sein? Ein Wolf heult und ab und zu hört man auch ein helleres Piepsen. Sie gingen an den Rand des Lochs und schauten heimlich hinein, um herauszufinden, was da heute doch los war. Der Junggeselle spielte in einer Ecke Geige und der Wolf saß in der anderen Ecke und sang mit.
Die Männer überlegten, was jetzt zu tun war, wen sollten sie zuerst herausziehen? Sie faßten den Entschluß, ein Seil herunterzuhängen und den Mann hochzuziehen. Sie hängten ein Seil in die Grube und sagten, daß der Mann es sich um den Körper binden sollte, damit sie ihn herausziehen können. Der Mann band sich das Seil um den Körper und man fing an, ihn hochzuziehen, der Wolf aber packte ihn krapst! und ließ nicht mehr los. Ein Wolf hat doch den Verstand von neun Männern und die Kraft eines Mannes.
Es half nichts, man mußte den Mann zurück in die Grube lassen. Der Mann mußte wieder anfangen zu spielen und der Wolf heulte mit. Dann schoßen zwei Männer in der gleichen Zeit aus zwei Flinten auf den Wolf und zogen ihn heraus. Auch der Mann konnte herauskommen. Dann waren sie froh, schindeten den Wolf gleich und brachten die Haut in die Kneipe. Die Männer tranken und der Geigenmann spielte.
141. Der Musikant in der Wolfsgrube. ERA II 254, 453/5 (1) < Reigi,
Kõrgessaare v., Kiikra k. - Enda Ennist < Andrus Remmel, geb. 1870 (1939). - AT
168 - 42 Varianten. Außer Estland noch in Lettland (43) und Litauen (3), ebenso
in Ukrainen (2) und Weißrußland (1) notiert.

Die Bärin stillt das Kind
Einmal hatte eine Bäuerin im großen Dorf von Päinurme einen Sohn. Ein Bär kam oft auf das Haferfeld dieses Bauernhofs, um an einem Haferschober zu fressen. Das war eine Bärin, die selbst noch kleine Jungen hatte.
Einmal schlief dieselbe Bärin beim Haferschober, als die Frau, das Kind im Schoß, auf das Feld gehen wollte.
Die Frau sah, daß die Bärin beim Haferschober schlief. Sie sprach Zauberworte und brachte der Bärin damit einen tiefen Schlaf, da die Frau Zaubersprüche kannte. Dann ging sie mit dem Kind zu der Bärin und ließ das Kind die Milch der Bärin saugen. Dann kam sie wieder weg.
Als dieses Kind erwachsen wurde, wurde es wirklich ein sehr starker Mann: mit einer Hand hob er sich ohne Hilfe sieben Scheffel Erbsen auf den Rücken. Aus seinem Mund lief aber immer Speichel wie einem Bären.
142. Die Bärin stillt das Kind. H II 39, 303/4 (427) Koeru, Vaali
v. - Hans Anton Schults < von einem alten Mann (1890). - [AT 169 B* 3)] - 7 Varianten.

Die Geschichten von einem Wolf
Auf dem anderen Ufer des Sees Järvepää sind alte Gebäude der Kneipe, die man heute noch wahrnehmen kann. Es ist schon lange her, als ein betrunkener Mann unterwegs nach Hause war. Es war Sommer und das Wetter war heiß. Der Mann ging in einen Graben am Wegrand, um sich zu erholen, er dachte am nächsten Morgen weiterzugehen.
Es kam ein Wolf aus dem Wald und fing an, auf den Mann zu harnen. Der Mann wurde wach, packte den Wolf an der Pfote und fuhr mit dem Wolf zurück in die Kneipe.
Der Wolf schämte sich vor dem Volk sehr und lief wie ein Hund unter eine Bank.
Das mußte wohl ein starker Mann sein.
Ein anderes Mal aber schlief der Wolf zusammen mit den Schweinen wie ein Welf. Es war so, daß die Schweine in der Dreschscheune schliefen, der Wolf aber den Baumstumpf, der vor das Türloch gestellt war, wegschob. Er kroch hinein und legte sich wie ein Herr zwischen die Schweine schlafen.
Am Morgen ging man und fing den Wolf.
143. Die Geschichten von einem Wolf. ERA II 174, 715/6 (16) <
Setu, Mäe v. - Paul Ilvik < Ivan Metsla, über 80 J. (1938). - [Mt 169 C*] + [169
D* 2)] - Die Wölfe harnen auf den Menschen, 5 Varianten + Der Wolf schläft hinter
dem Rücken der Frau, 3 Varianten.

Das Reiten mit dem Bären
In der Zeit des Frondienstes lebte in der Gemeinde Saru im Vorratshaus der Gemeinde Ala-Veski ein Arbeiter des Gutshofs Mõniste.
Er hatte ein kleines braunes Pferd. Einmal früh am Morgen, die Sonne war noch nicht aufgegangen, ging der Mann von der Wiese sein Pferd holen. Das Pferd war aber in der Nacht von der Kette losgekommen und war weitergegangen, um bessere Wiesen zu suchen.
Plötzlich sah der Mann beim Haferschober des Gutshofs ein Tier fressen. Der Mann dachte:
"Das ist mein Wallach, er wird sich wohl nicht fangen lassen." Der Schober war lang und niedrig, der Mann kletterte leise auf den Schober, ging bis zu dem Tier und sprang ihn rittlings auf den Rücken. Der Bär erschrack sehr und stürzte davon in die Richtung des Waldes.
Jetzt verstand der Mann seinen Irrtum. Er hielt mit beiden Händen am Haar des Bären fest. Loslassen konnte er nicht, da er sonst seinen Hals gebrochen hätte.
Als der Bär mit seinem Reiter am Waldrand ankam, war er schon müde. Nun konnte der Mann abspringen. Am nächsten Tag wurde der Bär im Wald tot vorgefunden.
Wenn ein Bär sehr erschrickt, fingt er an, Blut zu scheißen und stirbt bald. So geschah es auch mit diesem Bären.
144. Das Reiten mit dem Bären. RKM II 190, 513/5 (3) < Hargla
- Bruno Hanimägi < Jaan Hanimägi, 1862-1959 (nach eingenen Erinnerungen aufgeschrieben
1964). - [AT 169 D* 1)] - 5 Varianten.

Die Wölfe greifen den Bären an
Im Wald von Kurista gab es früher viele Bären. Einmal ging ein Mann auf einen unbeendeten Heuhaufen schlafen. Plötzlich kam ein Bär schnell rennend, eine Wölfeschar hinterher. Der Bär sprang auf den Heuhaufen und die Wölfe wollten ihm folgen. Der Bär wollte sie verhindern, schabte mit den vorderen Pfoten seinen Schoß voll Heu und warf den Heu wieder und wieder über die Wölfe. Der Mann war in großer Angst, daß der Bär vielleicht auch ihn in den Schoß greift und den Wölfen wirft.
Plötzlich fiel ihm ein, daß "ein Bär die Glocke fürchtet". In großer Angst griff er zwischen die hinteren Beine des Bären - der Bär erschrack und sprang vom Haufen in die Mitte der Wölfe, lief aber über die Wiese in den Wald zwischen die Holzhaufen und warf dann etwa zwanzig Klafter Holz auf die Wölfe.
145. Die Wölfe greifen den Bären an. ERA II 83, 528 (4) < Põltsamaa
- Aleksander Tiitsmaa (1928). - [AT 169 G*] + [87 A*] - Die Wölfe greifen den
Bären an, 3 Varianten + Der Bär wirft Holzscheite, 36 Varianten.

Mit dem Ferkel auf Wolfsjagd
Während der Wolfsjagd wurde ein Faß auf den Schlitten gestellt und ein Schwein hinein. Das Schwein gab Läute von sich und lockte damit Wölfe an. Manchmal kamen so viele Wölfe, daß man alle nicht totmachen konnte. Dann blieb nichts anderes über, als das Faß vom Schlitten herunterzuziehen und selbst unter das Faß [zu gehen].
Es war auch eine Axt dabei. Die Wölfe steckten ihre Pfoten unter das Faß, dann schlug man mit der Axt die Pfoten ab. Es gab kein Pferd mehr, die Wölfe hatten alle aufgefressen.
146. Mit dem Ferkel auf Wolfsjagd. RKM II 1, 43 (3) < Viljandi
< Läti, Purtnieki - Selma Lätt < Anton Pidrik, über 60 J. (1944). - [AT 169 K*
1)] - 2 Varianten.

Der Wolf besudelt den Mann
An einem warmen Sommertag schlief ein Wolf bewegungslos im Wald neben einem Busch, so daß viele Fliegen um seine Schnauze etwas zum Lecken fanden.
Ein Mann ging aber mit der Axt in den Wald, um einen Baum zum Fällen zu finden. Wenn er nah bei dem Haus keinen richtigen fand, mußte er ferner gehen. Während der Suche kam er endlich in diesen Ort, wo der Wolf schlief.
Der Mann schaute und schaute ihn und glaubte, der Wolf sei tot.
Gleich dachte er:
"Ich will doch nachschauen, ob seine Haut nicht eitrig oder verdorben ist. Wenn sie noch schön ist, habe ich viel Glück, daß sich mein Herumirren im Wald doch endlich belohnt hat."
Mit diesem Gedanken griff er am Schwanz des Wolfs. Der Wolf aber erschrack furchtbar, als jemand ihn am Schwanz packte! Sofort sprang er auf und stürzte davon! In dieser entsetzlichen Not goß der Wolf die Augen und den Mund des Manns mit heißer Scheiße über.
Das erschrack den Mann so, daß er auf lauter Stimme schrie:
"Aua! Ach du Teufel! Ach du Schurke! Daß du mich und meinen Mund mit deiner heißen Scheiße verbrennen mußtest! Ach, ich Dummkopf! Ich hätte das selbst wissen müssen, daß du bloß schliefst, ich hätte deine hinteren Pfoten mit meiner Axt zerspalten können, so wie es ein Mann schon einmal früher gemacht hat. Jetzt bin ich wohl klug genug, mein Glück ist aber vergangen!"
Der Mann wischte die Scheiße von allen Seiten und spukte und schimpfte den Wolf wegen des Gestanks, wie er konnte.
Zu Hause erzählte er das Geschehnis den anderen und dann fing ein richtiges Lachen an. Jemand, der diesen Mann erblickt und die Geschichte gehört hatte, lachte.
147. Der Wolf besudelt den Mann. E 36528/9 (59) < Jämaja - A.
Kuldsaar (1898). - [AT 169 L*] - Der Wolf (der Bär) stirbt vor Schreck, 15 Varianten.

Die Geschichte von einem Fuchs
In der alten Zeit war ein Fuchs einmal beim Dorfbrunnen. Eine Frau ging Wasser holen und hörte, wie der Fuchs schimpfte:
"Dorffrauen, Dorffrauen!
Kommet zur Hilfe!
Der Wolf besudelt den Dorfbrunnen!"
Alle Dorfbewohner liefen zum Brunnen. Dort sahen sie, daß nirgendwo ein Wolf zu sehen war. Sie fingen an, den Fuchs zu verfolgen, warfen ihn mit allerlei Dingen, die sie finden konnten. Alles deshalb, weil er sie betrogen hatte. Eine Frau warf einen alten Bastschuh aus Lindenrinde. Der Fuchs nahm diesen alten Bastschuh mit und ging seines Weges.
Er ging und ging, bis er am Abend auf einem kleinen Bauernhof ankam. Er ging auf diesen Bauernhof übernachten. Er fragte, wo er seinen Bastschuh lassen dürfe. Der Hausmann sagte:
"Leg ihn neben den Ofen zu den Hühnern!"
Der Fuchs legte seinen alten Bastschuh neben den Ofen zu den Hühnern.
Dann gingen sie schlafen.
Der Fuchs aber wachte in der Nacht auf, machte seinen Bastschuh kaputt und band die Fetzen der Lindenrinde einem Huhn um den Hals. Dann ging sie wieder schlafen.
Am Morgen stand der Fuchs auf und wollte von neben dem Ofen seinen Bastschuh nehmen, fand ihn aber nicht. Dann sagte er dem Hausmann:
"Die Hühner haben meinen Bastschuh kaputtgemacht. Wo werde ich nun einen anderen so netten Bastschuh finden!"
Der Hausmann gab ihm für den Bastschuh eine Henne.
Der Fuchs nahm die Henne und ging weg. Am Abend kam er zu einem Bauernhof und bat dort um ein Nachtquartier. Dann fragte er den Hausmann:
"Wo soll meine Henne übernachten?"
"Bringe sie in den Stall zu den Gänsen."
Der Fuchs brachte die Henne zu den Gänsen.
Alle gingen schlafen.
Der Fuchs aber stand in der Nacht auf, schlich in den Stall, fraß die Henne auf und legte die Därme der Hennen den Gänsen um den Hals. Er selbst ging zurück ins Zimmer und legte sich schlafen.
Am Morgen ging er mit dem Hausmann zusammen in den Stall die Henne abholen. Der Hausmann sah, daß die Gänse die Därme der Henne um die Hälse hatten, die Henne aber war verschwunden. Der Fuchs sagte, die Gänse hätten die Henne aufgefressen. Der Hausmann soll anstatt der Henne eine Gans abgeben. Der Mann gab dem Fuchs tatsächlich eine Gans.
Der Fuchs ging weg.
Gegen Abend kam er wieder zu einem Bauernhof und ging hinein, um dort die Nacht zu verbringen. Er fragte den Hausmann:
"Wo soll ich meine Gans lassen?"
"Bringe sie in den Stall zu den Schafböcken."
Der Fuchs brachte seine Ganz in den Stall zu den Schafböcken.
Sie gingen schlafen.
Der Fuchs aber ging in der Nacht aus dem Haus und fraß im Stall seine Gans auf. Die Därme band er um die Hälse der Schafböcke. Dann ging er zurück ins Haus schlafen.
Am Morgen ging der Fuchs zusammen mit dem Hausmann aus dem Stall die Gans holen. Der Hausmann sah, daß seine Schafböcke die Därme der Gans um die Hälse trugen, die Gans selbst aber war nicht zu finden. Der Fuchs sagte, die Schafböcke hätten seine Gans aufgefressen, der Hausmann solle ihm anstatt der Gans einen Schafbock geben. Der Hausmann gab anstatt der Gans einen Schafbock. Der Fuchs nahm den Schafbock und machte sich auf den Weg.
Er ging solange, wie er ging, am Abend kam er zu einem Bauernhof und blieb dort über Nacht. Er fragte den Hausmann:
"Wohin soll ich meinen Schafbock bringen?"
"Bringe ihn in den Stall zu den Kühen." Der Fuchs brachte den Schafbock in den Stall.
Alle gingen schlafen.
Der Fuchs stand in der Nacht auf, ging in den Stall, fraß seinen Schafbock auf, band die Därme den Kühen um die Hälse und ging wieder ins Zimmer schlafen.
Am Morgen ging der Fuchs zusammen mit dem Hausmann in den Stall zu dem Schafbock.
Der Hausmann sah, daß seine Kühe die Därme des Schafbocks um die Hälse hatten, der Schafbock selbst aber verschwunden war.
Der Fuchs sagte, die Kühe hätten den Schafbock aufgefressen, der Hausmann solle ihm anstatt des Schafbocks eine Kuh geben. Der Hausmann gab anstatt des Schafbocks eine Kuh.
Der Fuchs nahm die Kuh und machte sich auf den Weg.
Er ging solange, wie er ging, am Abend war er bei einem Bauernhof, wo er übernachtete. Er fragte den Hausmann:
"Wo soll meine Kuh hin?"
"Bringe sie in den Stall zu den Ochsen."
Der Fuchs brachte seine Kuh zu den Ochsen.
Alle legten sich schlafen.
Der Fuchs aber stand in der Nacht auf, ging in den Stall und fraß seine Kuh auf. Die Därme band er den Ochsen um die Hälse. Dann ging er zurück ins Haus schlafen.
Am Morgen ging er zusammen mit dem Hausmann in den Stall.
Der Hausmann schaute, daß den Ochsen die Därme der Kuh um die Hälse gebunden waren, die Kuh selbst aber verschwunden war. Der Fuchs sagte, die Ochsen hätten die Kuh aufgefressen und wollte anstatt seiner Kuh einen Ochsen.
Der Hausmann gab ihm anstatt der Kuh einen Ochsen.
Der Fuchs nahm den Ochsen und machte sich auf den Weg.
Er ging solange, wie er ging. Am Abend kam er zu einem Bauernhof und blieb dort über Nacht. Er fragte den Hausmann.
"Wo soll mein Ochse bleiben?"
"Bringe ihn in den Stall zu den Pferden."
Der Fuchs brachte seinen Ochsen zu den Pferden.
Alle gingen schlafen.
Der Fuchs aber stand in der Nacht auf, ging in den Stall und fraß dort seinen Ochsen auf. Dann kam er zurück ins Haus und legte sich schlafen.
Am Morgen ging der Fuchs zusammen mit dem Hausmann in den Stall, um den Ochsen zu holen. Der Hausmann schaute: Die Därme des Ochsen sind um die Hälse der Pferde gebunden, der Ochse selbst ist aber verschwunden.
Der Fuchs sagte, die Pferde hätten den Ochsen aufgefressen und wollte anstatt des Ochsen ein Pferd bekommen.
Der Hausmann gab ihm tatsächlich ein Pferd samt dem Schlitten und Geschirr.
Der Fuchs setzte sich auf den Schlitten und ging fahren. Er fuhr solange, wie er fuhr, dann sah er einen Hasen entgegenkommen. Der Fuchs fing an zu singen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Er kam zu dem Hasen.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Wohin des Weges? Hast du aber ein schönes Pferd und singen kannst du auch gut. Nimm auch mich auf den Schlitten! Ich helfe dir beim Singen."
Der Fuchs nahm den Hasen auf den Schlitten. Sie gingen zu zweit weg und fingen an zu singen
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Sie kamen zu einer Ziege.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Hast du aber ein gutes Pferd und singen kannst du auch gut. Nehmt auch mich auf den Schlitten, ich helfe euch beim Singen."
Sie nahmen auch die Ziege auf den Schlitten. Sie gingen zu dritt und fingen an zu singen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!" Es kam ein Hund.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Habt ihr aber ein gutes Pferd und singen könnt ihr auch gut. Nehmt auch mich auf den Schlitten, ich helfe euch beim Singen."
Sie nahmen auch den Hund auf den Schlitten. Sie gingen weiter und sangen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Es kam ihnen ein Wolf entgegen.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Habt ihr aber ein gutes Pferd und singen könnt ihr auch gut. Nehmt auch mich auf den Schlitten, ich helfe euch beim Singen."
Sie nahmen auch den Wolf auf den Schlitten. Sie machten sich auf den Weg und sangen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Es kam ein Bär.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Habt ihr aber ein gutes Pferd und singen könnt ihr auch gut. Nehmt auch mich auf den Schlitten, ich helfe euch beim Singen."
Sie nahmen auch den Bären auf den Schlitten, gingen weiter und sangen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Es kam ihnen ein Elch entgegen.
"Um Gottes Willen, Gevatter, grüß dich! Habt ihr aber ein gutes Pferd und singen könnt ihr auch gut. Nehmt auch mich auf den Schlitten, ich helfe euch beim Singen."
Sie nahmen auch den Elch auf den Schlitten, machten sich auf den Weg und fingen an zu singen:
"Für den Bastschuh bekam ich eine Henne,
für die Henne bekam ich eine Gans,
für die Gans bekam ich einen Schafbock,
für den Schafbock bekam ich eine Kuh,
für die Kuh bekam ich einen Ochsen,
für den Ochsen bekam ich ein Pferd!"
Sie fuhren zusammen solange, wie sie fuhren, dann zerbrach dem Schlitten eine Deichsel. Der Fuchs schickte den Hasen in den Wald, eine neue Deichsel zu holen. Der Hase brachte eine kleine Rute.
Der Fuchs sagte:
"Daraus kann man keine Deichsel machen!"
Er schickte die Ziege eine Deichsel holen. Die Ziege brachte auch eine ähnliche kleine Rute, bloß eine etwas dickere.
Der Fuchs sagte:
"Daraus kann man keine Deichsel machen!"
Er schickte den Hund eine Deichsel holen.
Auch der Hund brachte eine kleine Rute, sie war nur etwas dicker.
"Auch daraus wird keine Deichsel!"
Er schickte den Wolf eine Deichsel suchen.
Der Wolf ging in den Wald, riß einen Baum mit den ganzen Wurzeln aus der Erde und brachte ihn zum Pferd.
"Daraus wird auch keineswegs eine Deichsel!"
Der Fuchs schickte den Bären eine Deichsel suchen.
Der Bär ging in den Wald, riß eine sehr große Fichte mit den ganzen Wurzeln heraus und brachte zum Pferd.
Der Fuchs sagte:
"Aus diesem Balken wird wohl auch keineswegs eine Deichsel."
Er schickte den Elch in den Wald.
Der Elch ging in den Wald, brachte eine große Birke und sagte:
"Daraus wird eine Deichsel."
"Es wird daraus keine Deichsel! Ich gehe selbst und bringe eine richtige," sagte der Fuchs, "bleibet solange bei dem Pferd."
So ging der Fuchs selbst eine Deichsel suchen.
Inzwischen zerrissen der Bär und der Wolf das Pferd, fraßen das Fleisch auf und stopften die Haut voll Stroh. Sie stellten das Pferd auf die Beine und alle anderen Tiere gingen ihres Weges.
Es kam der Fuchs mit der Deichsel aus dem Wald zu dem Pferd, er besserte die Deichsel aus und setzte sich auf den Schlitten. Er wollte allein weiterfahren, das Pferd aber machte keinen einzigen Schritt. Der Fuchs schlug das Pferd mit der Peitsche. Das Pferd fiel um und stand nicht mehr auf.
Der Fuchs kletterte vom Schlitten und sah, daß das Pferd tot war. Er verließ das Pferd samt dem Geschirr und ging selbst in den Wald.
Der Fuchs ging hin und her und kam zum Nest eines Vogels. Die Vogeljungen waren schon alle ausgebrütet.
Der Fuchs war sehr hungrig und wollte die Vogeljungen auffressen. Der Vogel aber fing an zu bitten:
"Friß nicht meine Jungen! Ich werde dir zeigen, wie du etwas zum Fressen bekommst."
Der Fuchs drohte:
"Wenn du mir zeigst, spare ich deinen Jungen das Leben. Wenn nicht, fresse ich sie mit einem Mal auf."
Der Vogel lehrte:
"Da kommt eine Frau des Weges, sie geht eine Wöchnerin besuchen. Ich gehe und fliege um ihren Kopf. Sie will mich hauen und die Schüsseln mit Speisen fallen auf die Erde. Dort kannst du fressen."
Der Fuchs versteckte sich bei dem Weg neben einem Busch und sah bald eine Frau, die zu einer Wöhnerin ging, in beiden Händen Schüsseln tragend.
Der Vogel flog um den Kopf der Frau. Sie wollte den Belästiger hauen, dabei fiel ihr aber eine Schüssel aus der Hand und die ganze Speise fiel auf die Erde. Die Frau ließ den ganzen Speisekram liegenbleiben und ging weg.
Der Fuchs kam aus dem Busch und fraß die Speise auf. Dann war er satt. Er ging wieder im Wald herum und bekam Lust auf Branntwein. Er wußte schon den Weg, ging wieder zum Nest des Vogels und sagte:
"Wenn ich kein Branntwein bekomme, fresse ich deine Jungen auf."
Natürlich wollte der Vogel keins von den Jungen abgeben und fing an, dem Fuchs Rat zu geben:
"Da geht ein Mann auf dem Weg, ein Branntweinfaß auf dem Schlitten. Ich fliege auf dieses Faß. Er will mich mit einem Schlag abschrecken, schlägt ein Loch ins Faß, der Branntwein fließt heraus und du kannst trinken."
Der Fuchs ging wieder abseits und sah den Mann mit dem Branntweinfaß kommen. Der Vogel flog auf das Faß. Der Mann sah den Vogel auf dem Faß und schlug ihn mit einem Stock. Der Vogel aber flog weg und der Schlag traf das Faß. Daß Faß ging kaputt und der Branntwein floß auf die Erde.
Der Mann ging weiter, der Fuchs aber kam aus dem Wald, trank Branntwein und wurde betrunken. Er fing an, den Vogel zu fragen, daß dieser ihn zum Lachen bringen sollte, wenn nicht, würde er seine Jungen auffressen.
Der Vogel hatte Mitleid mit seinen Jungen und sagte dem Fuchs:
"Geh ins Dorf zur Dreschscheune, dort drescht ein Mann mit seinem Sohn Getreide. Dort werde ich dich zum Lachen bringen."
Der Fuchs ging zur Dreschscheune und schaute, wie der Vater und der Sohn mit Dreschflegeln schlugen.
Der Vogel flog dem Vater auf den Kopf. Der Sohn war gerade am Schlagen. Er wollte den Vogel abwehren, traf aber zufällig den Vater.
So konnte der Fuchs lachen.
Dann wollte der Fuchs in die Sauna gehen. Er sagte dem Vogel:
"Wenn du mir nicht eine Sauna heizt, fresse ich deine Jungen auf."
Dem Vogel tat das Schicksal seiner Jungen wieder leid. Er ging die Sauna heizen. Als die Sauna heiß war, sagte er dem Fuchs:
"Die Sauna ist fertig, du kannst in die Sauna gehen."
Der Fuchs sagte dann:
"Ich will in die Sauna laufen, so daß meine Haut heiß wird. Ich mõchte sogar so etwas wie fliehen, als ob jemand mich verfolgen würde! Wenn ich nicht fliehen kann, fresse ich deine Jungen auf."
Der Vogel wollte seine Jungen retten und sagte:
"Wenn du in die Sauna gehst, laufe durch das Dorf, du willst sehen, wie die Hunde anfangen, dich zu verfolgen."
So ging der Fuchs durch das Dorf zu der Sauna. Die Hunde des Dorfes fingen an, ihn zu verfolgen. Es war an der Zeit zu fliehen. In großer Not konnte er zum Schluß in die Sauna laufen, dort aber fing er an, seine Pfoten zu fragen:
"Pfoten, was habt ihr gemacht?"
"Wir liefen! Wir liefen, damit der Fuchs nicht gefangen würde."
"Ohren, was habt ihr gemacht?"
"Wir horchten! Wir horchten, damit der Fuchs nicht gefangen würde."
"Äuglein, was habt ihr gemacht?"
"Wir schauten! Wir schauten, damit der Fuchs nicht gefangen würde."
"Schnauze, was hast du gemacht?"
"Ich zeigte in die richtige Richtung! Ich zeigte die Richtung, damit der Fuchs nicht gefangen würde!"
"Aber Schwanz, was hast du gemacht?"
"Ich schlug an einen Baum und an den anderen Baum, kolks und kolks! Damit sie den Fuchs fangen könnten."
"Ach du machtest es dafür, daß die Hunde den Fuchs fangen könnten!"
Er steckte den Schwanz durch die Tür hinaus und sagte:
"Hunde, freßt den Schwanz auf!"
Die Hunde kamen, griffen den Schwanz des Fuchses an, zogen den Fuchs aus der Sauna und fraßen ihn auf.
Die Jungen des Vögelchens blieben im Leben.
148. Die Geschichte von einem Fuchs. S 67004/28 (6) < Setu, Vilo
v., Kalde k. - Aleksei Põhi < Maarfa Hallist (1933). - AT 170 + 158 + 56 C* (1*
+ 56 B* + 248 A*) + 154 IV - Der Fuchs im Nachquartier, 34 Varianten + Der Schlitten
geht kaputt, 53 Varianten + Der Fuchs fordert Essen, Trinken und Lachen, 45 Varianten.
(Der Fuchs stiehlt den Korb, 43 Varianten + Der Fuchs fordert zu trinken, 15 Varianten
+ Der kluge Vogel, 34 Varianten) + Der Fuchs und der Schwanz, 55 Varianten. Eine
gründlich ausgestaltete traditionelle Kontamination von den in Setu populären
Fuchsgeschichten.

Der Mann in des Bären Klauen
In der alten Zeit geschah einem Jäger das Unglück, daß er in die Klauen eines Bären geriet. Der Bär hatte den Jäger gefangen, ihn niedergerissen und das Fleisch von den Unterschenkelknochen des Mannes abgekratzt, um Blut zu saugen. Als der Bär schon einige Zeit seinen Ärger und Durst gestillt hatte, bekam er die Lust, den Mann unter einen Holzhaufen zu begraben, da er keine Lust mehr zum Fressen hatte.
Bevor er aus dem Wald Baumstümpfe holen ging, setzte er sich aber auf den Mund des Mannes und horchte, ob dieser noch atmet. Er hatte die Absicht, den Mann zuerst totzubeißen. Der Mann aber war tapfer und machte, als ob er nichts merkte, was der Bär mit ihm vorhatte.
Erst dann, als der Bär den Mann schon einige Male so versucht hatte, ging er in den Wald Baumstümpfe holen. Inzwischen stieg der Mann auf und konnte in großem Schmerz noch seine Flinte in die Hand nehmen.
Sobald der Bär mit einem Baumstumpf kam, um den Mann zu begraben, spannte er den Hahn, zielte und schoß. Siehe, der Bär fiel tot um und gab den Geist auf und blieb für immer schlafen.
So rettete der Jäger sich von den Klauen des Bären. Er war lange Zeit krank, da der Bär seine Unterschenkel zerrissen hatte. Zum Schluß wurde er doch gesund. Obwohl der Bär ihn einmal geplagt hatte, gab der Mann seinen Jägerberuf nicht auf. In seinem Leben hatte er hundertzehn Bären erschossen. Da der Bär seine Unterschenkel zerrissen hatte, konnte der Mann von dieser Zeit an so schnell laufen, daß er mit einem Hasen hätte um die Wette laufen können.
149. Der Mann in des Bären Klauen. H III 30, 368/71 (9) < Halliste
- J. P. Sõggel < Elts Taklaja (1901). - [AT 171 B* 1)] - 5 Varianten. Wird als
ein Tatsachenbericht oder eine lokale Erzählung erzählt.

Der Hirtenjunge und der Bär
Ein Hirtenjunge kletterte zum Schutz vor einem Bären auf einen Baum, der Bär aber sah das und kletterte ihm nach. Als der Bär schon auf dem halben Baum war, fiel dem Jungen zufällig ein von zu Hause mitgegebenes Brotstückchen aus der Tasche des Hemdes heraus und direkt auf die Nase des Bären. Dieser fiel sofort herunter und war tot. Der Junge traute sich nicht früher herunterzukommen, bis die anderen den Bären weggebracht hatten.
150. Der Hirtenjunge und der Bär. E 16620/1 (32) < Paistu, Kaarli
- J. P. Sõggel (1895). - [AT 171 B* 3)] - Der Bär klettert dem Mann (Jungen) auf
den Baum nach, 16 Varianten.

Der Bär auf dem Haferfeld
Zwei Männer gingen auf Bärenjagd. Am Tag machten sie auf ein Haferfeld, das neben dem Wald lag, zwischen zwei Fichten aus Brettern einen Wachposten, um dort zu warten, bis ein Bär aufs Haferfeld Hafer fressen kommt. Die Männer gingen schon ganz früh auf die Wachstelle und warteten ungeduldig das Kommen eines Bären.
Es wurde inzwischen schon ziemich dunkel, bis die Männer endlich aus dem Hafer das Brummen eines Bären hörten. Der Hafer, den der Bär fraß, war aber auf ein neues Feld gesät worden, alles war voll Büsche und Grasoden, so daß es schwer war, den Bären von den Büschen und den Grasoden zu unterscheiden. Die Männer waren ziemlich in der Klemme, da sie nur zwei Flinten hatten, jeweils mit einem Schoß. Zum Schluß schossen sie, ohne viel zu zielen, auf eine dunklere Gestalt. Plötzlich hörte der Bär auf zu brummen und ging schnell aus dem Hafer, so daß die Erde dröhnte.
Nach einiger Zeit schaute der Bär zurück, um nachzusehen, wer den Mut gehabt hatte, auf ihn zu schießen. Nach langer Suche fand der Bär die Männer und fing an, zu ihnen hochzuklettern. Die Männer waren in Not, sie hatten doch keine Munition mehr. In großer Not konnten sie irgendwie das wilde Tier solange fernhalten, bis die Dorfleute, die am Morgen vorbeikamen, zu Hilfe kamen.
Der Bär machte, daß er wegkam, er dachte aber für die Männer eine Rache aus. Im Herbst, als der Hafer in Schober gestellt war, kam der Bär und trug den Hafer in den Deich, wo man sonst Flachs röstete, und rollte sogar einen Stein darauf. Der Bauer sah, daß die Haferschober verschwunden waren und ging aufs Feld , um nachzusehen, wer das Getreide gestohlen hatte. Er sah aber keine Spur von einem Wagen oder einem Pferd, nur Haferhalme lagen da und zeigten in die Richtung der Flachsröste. Als der Mann näher ging, war er sehr erstaunt, als er seinen Hafer im Loch unter den Steinen sah. Von dieser Zeit an ging der Mann nie mehr auf Bärenjagd.
151. Der Bär auf dem Haferfeld. ARS 1, 793/4 (15) < Tartu - Leida
Muuga (1927). - [Mtº 171 B* 6)] - Der Bär rächt sich, 2 Varianten.

Der Mann rettet sich aus der Baumspalte
Auf der Insel Ahvena gab es früher viele Rebhühner und Auerhähne und noch mehr Bären. Es gab einen tüchtigen Jäger, - er hieß, sagen wir, Ants Agar - der es ebenso gehört hatte, wie es auf der Insel war. Er wollte sein Jagdglück auf die Probe stellen, deshalb nahm er einmal ein Boot und fuhr auf die Insel. Es gab dort tatsächlich unendlich viele Rebhühner und Auerhähne, so daß die ganze Insel summte. Ants überlegte, was zuerst zu tun war, soll er ein paar Vögel schießen oder etwas anderes tun. Er ging im Wald weiter. Plötzlich sah er einen großen Baum, den der Wind gespalten hatte. Der Mann war erstaunt, da der Baum von einer Seite so zerkratzt war; er wollte sehen, was im Inneren des Baums steckt. Er kletterte höher, fiel aber unglücklicherweise in den hohlen Baum hinein. Er tat sich wohl kaum weh, das Innere des Baums wahr weich, da ein Bär dorthin weiche Dinge zusammengetragen hatte. Nun hatte der Mann Todesgedanken im Kopf, da er glaubte, sich nicht mehr retten zu können. Seinen Jagdsack und sein Messer hatte er unter dem Baum gelassen. Wieder hochklettern konnte er nicht.
Es war gegen Mittag, als er in den Baum hineinfiel. Am Abend, nach dem Sonnenuntergang hörte er an der Außenseite ein Knistern. Der Mann hatte schon früher vermutet, daß er in eine Bärenhöhle gefallen war und nun fürchtete er wohl, daß der Bär selbst kommen wird. Die obere Seite der Höhle wurde plötzlich dunkel, als würde jemand gerade kommen. In großer Angst drückte der Mann dem Bären seine Brust entgegen, damit dieser nicht herunterkäme. Der Bär fühlte, daß etwas ihn berührt und daß er nicht mehr tiefer hineingehen kann. Die Bären haben immer Angst wegen ihrer Hoden; ihre Hoden sind so weichlich. Deshalb fing der Bär nun schnell an, wieder hochzuklettern. Der Mann griff noch an seiner anderen Pfote an, biß mit den Zähnen in den Schwanz des Bären und ließ sich hochziehen. Das jagte dem Bären eine noch schlimmere Angst ein, so daß er den Mann aus der Höhle herauszog und selbst herunterfiel. Nun konnte der Mann sein Messer und seine Flinte mitnehmen und mit dem Boot so schnell wegfahren, wie er nur konnte.
Dem Mann aber blieb der Gedanke im Kopf, daß man von der Insel etwas Kostbares mitnehmen könnte, es gab dort doch so viele Bären. Er hatte schon vor langer Zeit gehört, daß die Bären sehr gern Branntwein trinken. Einmal nahm er sieben Stöfe Branntwein mit und ebenso kleine Mulden. Der Mann fuhr zu der Insel, goß in jede Mulde Branntwein, um nachzusehen, was kommt. Der Mann stellte die Branntweinmulden unter den Wind, damit der Geruch in den Wald ziehen würde und die Bären kämen, nach der Quelle des Geruchs zu suchen. Er selbst nahm seine kleine Flinte und kletterte auf einen Baum.
Es verging eine halbe Stunde, dann hörte man ein lautes Getrampel im Wald. Bald sah der Mann sieben Bären kommen! Sie kamen und fingen an zu trinken. Bald waren alle so betrunken, daß sie sich nicht mehr bewegen konnten. Dann erschoß der Mann alle sieben und schund sie.
Ein Bär aber hatte einen großen Beutel im Hodensack. Der Mann überlegte, was das denn bloß sein soll. Er schnitt den Sack entzwei - dieser war voll von Gold! Der Mann nahm das Geld und die Häute und fuhr weg.
Es war irgendwann früher ein sehr reicher alter Jäger gewesen, der von dieser Insel nicht mehr zurückkam. Der Mann dachte nun, daß die Bären jenen reichen Jäger aufgefressen hatten, das Gold war aber schwer und der Bär konnte es nicht verdauen. So versicherte sich der Mann mit einem Schlag ein ruhiges sicheres Leben.
152. Der Mann rettet sich aus der Baumspalte. ERA II 254, 457/60
(3) < Reigi, Kõrgessaare v. - Enda Ennist < Andrus Remmel, geb. 1870 (1939). -
[Mtº 171 C*] - 4 Varianten.

Die Lebensdauer
In der alten Zeit bestimmte der alte Gott dem Menschen fünfundzwanzig Jahre Lebensdauer, der Esel bekam dreißig Jahre. Der Esel fing an zu bitten, er könne kein so langes Leben aushalten. Dann wurden dem Menschen einige Jahre dazugegeben. Nun hatte der Mensch fünfundfünfzig Jahre Lebensdauer.
Der Hund aber fing auch an zu bitten, daß sein Leben verkürzt würde, er könne nicht so lange leben. Die dreißig Jahre, die dem Hund abgenommen wurden, wurden wieder dem Menschen dazugegeben. Nun hatte der Mensch schon fünfundachtzig Jahre. So ist der Mensch älter als alle Haustiere.
153. Die Lebensdauer. ERA II 268, 60 (21) < Narva < Võru, Koiola
v. - Erich Luht < Mari Tolk, geb. 1862 (1939). - AT 173 - 7 Varianten. An dem
schwankhaften Ende der Geschichte wird die Vernunft von einem Jahrzehnt des Menschen
mit der Vernunft eines Tieres verglichen.

Der Wanderer und der Bär
Einmal kam einem Mann im Wald ein Bär entgegen. Der Mann sah den Bären schon von weitem. Zuerst wollte er weglaufen, dachte aber, daß der Bär ihn verfolgen und fangen würde.
Plötzlich fiel dem Mann ein, daß die Bären keinen Toten berühren. Der Mann warf sich auf die Erde, machte, als wäre er tot.
Der Bär kam zu dem Mann, roch an ihm, der Mann war so leise wie eine Maus in ihrem Loch. Der Bär stieß den Mann mit der Schnauze auf die andere Seite. Der Mann gab weder einen Laut von sich noch machte er eine Bewegung, er versuchte so leise zu atmen wie möglich.
Der Bär dachte, daß der Mann tatsächlich tot war, verließ den Mann auf der Stelle und ging weg.
Nun sprang der Mann auf und rannte nach Hause.
154. Der Wanderer und der Bär. E 8º IV 32 (61) < Vigala, Velise
- M. J. Eisen < aufgeschrieben von Ilmveier (1925). - [AT 179] - 9 Varianten.
Als lehrreiche Geschichte während einer längeren Zeitspanne (seit Grentsius 1817)
in Schulbüchern und Kalendern geläufig gewesen.

Der Bärenfang des Forstwarts
In jener Zeit, als statt des Mõtshoidja Bauernhofs noch das Haus des Forstwarts von Põrgulaane war, ging der Forstwart in einer Herbstnacht mit seiner Flinte und seinem Jagdmesser in einen Haferschober, um zu einem Bären zu schleichen. Ein Bär kam nämlich nachts zu dem Haferschober und trug aus dem Schober Hafer in den Wald.
Der Forstwart war aber von der Tagesarbeit so müde, daß er einschlief.
Plötzlich fiel er durch den Schlaf, daß jemand ihn in seinen Schoß griff. Als er erwachte, war er zusammen mit Hafer in den Pfoten des Bären und dieser fing an, mit ihm in den Wald zu eilen.
Zuerst war er sehr erschrocken, da seine Flinte im Schober geblieben war. Zum Schluß fiel ihm aber auf, daß er sein Jagdmesser mithatte und er zog das Messer unbemerkt aus der Scheide.
Gleich stach er es dem Bären in den Magen und zog mit dem Messer, wie er nur konnte.
Der Bär schrie und warf den Mann samt dem Hafer auf die Erde. Der Mann machte, daß er nach Hause kam, da er sah, daß der Bär stehengeblieben war und auf seinen Bauch schaute. Wahrscheinlich hatte der Mann ihn nicht ganz gut getroffen.
Als er aber am Morgen in diesen Ort zurückging, fand er den Bären bloß etwas weiter weg tot vor. Der Bär hatte sich zwar die Därme wieder in den Bauch gesteckt und Hafer vor die Wunde gestopft, aber er war trotzdem gestorben.
155. Der Bärenfang des Forstwarts. ERA II 256, 280/1 (25) < Helme
- Hans Martin < Juhan Anton, gest. 1917, über 70 J. alt (1939). - [AT 179 A* 1)]
- 12 Varianten.

Der Bär verfolgt den Menschen
Bei Kandle lebten zwei Feinde - beide hießen Laur. Sie gingen zusammen auf Jagd. Ein Bär kam. Ein Laur schoß, aber traf nicht. Der Bär stieg auf die hinteren Pfoten wie ein Mann und wollte ihn angreifen. Laur konnte aber hinter einen Baum springen. Der Bär griff mit seinen Pfoten um den Baum. Laur drückte ihm auf die Pfoten, so daß die Nägel in der Baumrinde festblieben, und fing an, den anderen zu bitten, daß dieser den Bär zum ewigen Schlafen bringen würde.
Dieser aber habe gelacht. Er ließ den anderen vom Vormittag bis zum Abend auf die Nägel des Bären drücken. Wenn die Sonne schon anfing unterzugehen, erst dann machte er den Bären tot.
Am zweiten Tag gingen sie wieder zu zweit. Es kam auch ein Bär, aber dieses Mal gerade zu dem anderen Mann. Dieser hatte keine Zeit zum Schießen, er konnte bloß seine Flinte dem Bären in die Kehle stecken, selbst aber flatterte er in den Pfoten des alten starken Bären und schrie:
"Laur! Laur, schieß auf den Bären!"
Dem Laur aber kamen die gestrigen Tage in die Erinnerung und er kicherte sich in den Bart. Wenn der andere schon ganz in Not war, wenn der Bär ihn bald schon ganz überfallen wollte, erschoß er den Bären.
"Na, jetzt bin ich mit dir wieder mal quitt."
156. Der Bär verfolgt den Menschen. ERA II 198, 94 (114) < Haljala
- Hermann Länts (1938). - [AT 179 A*)] - 21 Varianten.

Der Bär mit der Glocke
In der alten Zeit ging ein Bär einem Mann oft zu Besuch und verursachte ihm viel Schaden. Der Mann überlegte, was er dagegen vornehmen sollte. Zum Schluß fand er einen guten Rat: er nahm einen halben Stof Honig und einen Stof Branntwein, goß sie in einen Eimer und brachte den Eimer dorthin, wo der Bär Hafer zu fressen pflegte. Wenn er damit fertig war, kletterte er wegen der Neugierde auf einen Baum, um zu erfahren, was der Bär tut, wenn er seine Lieblingsspeise vorfindet.
Was sieht der Mann? Der Waldkönig kommt langsam aus dem Wald und genau dorthin, wo die Leckerspeise auf ihn schon wartet. Der süße Geruch kitzelt seine Nase. Trotzdem hat er nicht den Mut, den Eimer mit einem Zug leerzumachen, sondern steckt eine Pfote hinein und leckt die Pfote. Dann nimmt er den Eimer zwischen zwei Pfoten und trinkt ihn leer. Dann fängt er an zu tanzen. Er tanzt solange, bis seine Beine ihn nicht mehr tragen. Dann wirft er sich auf den Rücken und fängt an zu schnarchen.
Der Mann sieht das alles von seinem Baum. Er denkt, die richtige Zeit sei gekommen, und geht herunter zu dem Bären. Er nimmt eine Glocke aus der Tasche und bindet sie mit einer Schleife um den Hals des Bären. Gleich klettert er wieder auf den Baum, um nachzusehen, was jetzt geschieht. Der Bär fühlt aber überhaupt nicht, daß mit ihm etwas passiert ist, da er noch vom Tanzen müde ist und sich ruhig erholt.
Etwa nach einer Stunde wird er wach. Jetzt merkt er, daß ihm etwas um den Hals hängt. Er berührt es mit einer Pfote, aber alles ist stark zugebunden; er berührt es mit der hinteren Pfote - es geschieht nichts Besseres. Dann steht er auf und schüttelt den Kopf - und was muß er hören? Die Glocke klingelt. Jetzt wird der Bär wütend, er steht auf und läuft weg, so daß die Erde dröhnt.
Später sah man den Bären mit der Glocke in der Gesellschaft von zwei anderen herumlaufen.
Noch etwas später erzählte der Mann die Geschichte den anderen und zum Schluß kam sie in die Ohren des Richters in Tallinn. Der Richter ließ den Mann zu sich bringen und fragte:
"Wie und warum hast du dem Bären die Glocke um den Hals gebunden?"
Der Mann antwortete:
"Er kam auf mein Haferfeld, fraß und trampelte. Ich dachte, ich muß ihm einen Streich spielen. Ich brachte einen halben Stof Honig und einen Stof Branntwein, mischte sie und brachte die Mischung aufs Feld. Er trank alles auf und schlief ein. Dann band ich ihn die Glocke um den Hals."
Der Richter lobte die tapfere Tat des Manns und gab ihm dreißig Rubel zum Lohn.
157. Der Bär mit der Glocke. E 55249/50 < Rapla, Käru - Alfred
Naaris (1925). - [Mtº 179 D] - 13 Varianten.

Der Wolf schleppt den Mann im Faß
Der Alte von Palumaa sei nach Märjamaa gegangen. Bei der Heide von Haimre sah er ein leeres Faß und kroch ins Faß, um sich dort zu erholen.
Ein Wolf kam kaps-kaps und harnte gegen das Faß sorts-sorts. Er ging weiter und harnte wieder sorts-sorts. Als er zum dritten Mal anfing zu harnen, kam sein Schwanz schon durch das Pfropfenloch des Faßes herein.
Der Alte von Palumaa griff den Schwanz des Wolfs stark an. Der Wolf schrack und stürzte davon, das Faß hinterher.
Der Wolf lief bis zu der Brücke von Konnaveski; mit großem Schwung schlug das Faß gegen das Geländer der Brücke und fiel entzwei. Der Wolf kam los und der Alte blieb zusammen mit den Faßbrettern zurück.
158. Der Wolf schleppt den Mann im Faß. ERA II 227, 119 (72) <
Märjamaa, Haimre < Vigala - Daime Puu < Aadu Vaarmann, 80 J. (1939). - [Mtº 187]
- 11 Varianten.

Der Schiffer des Wolfes
Auf der Insel Muhu gab es einen unglaublich schlauen und klugen Wolf. Dieser tat viel Böses, er zerriß Schafe und andere Tiere. Kein Jäger konnte ihn fangen.
Einmal wurde der Befehl gegeben, daß alle Männer auf Muhumaa auf die Jagd gehen müssen. So gingen sie, Mann neben Mann, über die ganze Insel, den Wolf aber konnten sie nirgendwo finden.
Ein Mann war aber mit einem kleinen Boot auf der See. Dieser sah, daß der Wolf sich hinter einem großen grauen Stein versteckte, nur sein Kopf war über das Wasser. Er ging den Wolf wegjagen. Sobald er bei dem Wolf ankam, sprang dieser rapsti! ins Boot und zeigte ihm die Zähne. Der Mann wollte zum Strand rudern, der Wolf aber ließ ihn das nicht tun. Sobald der Mann sich etwas bewegte, fang der Wolf an zu knurren.
Der Wind brachte das Boot zum Strand von Virtsu. Dort sprang der Wolf aus dem Boot und lief in den Wald.
159. Der Schiffer des Wolfes. ERA II 201, 283/4 (61) < Karja,
Leisi v. - Kaljo Lepp, 75 J. (1938). - [Mtº 189] - Der Schiffer des Wolfes, 10
Varianten. Es gibt Ausschreibungen aus Harju- und Läänemaa und von den Inseln.