DIE SAGEN VON VANAPAGANEllen Liiv |
Im Vergleich zu anderen Riesen sind die Geschichten von Vanapagan bedeutend seltener veroffentlicht und weniger erforscht worden. Dieser Riese wird meistens im Vergleich zu Kalevipoeg, seltener zu Tõll erwähnt und behandelt. Das Hinüberwachsen der Gestalt des Vanapagan in die-jenige von Kalevipoeg hat Fr. R. Kreutzwald schon im Jahre 1865 wahr-genommen. Auch von späteren Forschern hat sich ihre Parallelität feststellen lassen. Folglich wiesen die Gestalten der estnischen Riesen damals noch keine endgultige Differenzierung auf, der diesbezügliche Prozess fand erst statt. Besonders die letzten 100 Jahre haben zu dessen Vertiefung beigetragen, d. h. die Periode nach dem Erscheinen von Fr. R. Kreutzwalds Kalevipoeg und P. Südas Suur-Tõll (Gross-Tõll).
Am zahlreichsten sind einzelne Sagen über Vanapagan in M. J. Eisens popularen Geschichtensammlungen der Jahre 1882-1926 erschienen. Ausserdem hat A. Annist seiner Untersuchung «Kalevipoeg» in der estnischen Folklore eine ganze Reihe von Texten über Vanapagan im Vergleich zu Kalevipoeg hinzugefugt.
ist monographisch nicht festgestellt worden. Im 19. Jahrhundert war man allgemein der Ansicht, dass sie im Worte pagan (Heide, Nichtchrist) wurzelt. Die heidnischen Esten zogen nämlich in einsame Gegenden und fuhrten nicht die gleiche Lebensweise wie andere Menschen. Das ergab realistischen Stoff zur Entstehung einer folkloristischen Gestalt. Diesen Standpunkt vertrat auch Oskar Loorits. Das Wort pagan wurde zu den russischen Entlehnungen gezählt (Loorits), wobei man aber die entsprechende Etymologie an-gezweifelt hat. Betreffs der Etymologie des Wortes kurat (Teufel) gibt es zwei Vermutungen: entweder kurat/kura = ‘links, linke’ oder kurat/kurja = ‘schlecht, böse’. Letztere Hypothese entspricht mehr der Wahr-scheinlichkeit und wird auch gegenwartig anerkannt.
Vanapagan entspricht nicht vollig der Vorstellung vom Teufel der geistlichen Literatur, hat mit ihm aber viel gemein. Ursprunglich ist er ein physisch sehr starker, einfaltiger Riese, dem im Laufe der Zeit sogar menschliche Züge zugeschrieben worden sind.
Die Sagen werden im allgemeinen in zusammengedrängter Form und stilistisch einfach weitergegeben. Neben der am häufigsten auftretenden sog. klassischen Sage kommen sowohl kurze, einsätzige Berichte als auch längere, detaillierte Geschichten vor, in denen die anfängliche Funktion der Sage in grossem Masse verblasst und durch eine künstlerisch vollkommenere Komposition ersetzt wird (wie z. B. in Märchen). Bei den einsätzigen Geschichten besteht die Möglichkeit, dass das Sujet einfach in Vergessenheit geraten ist. Dabei sollte aber berücksichtigt werden, dass eine Sage, von der man annehmen kann, dass sie den Zuhörern sowieso bekannt ist, niemals in vollem Umfange erzählt wurde. Dafür, wie eine Sage verschwindet, wenn die Menschen erfahren, was die Entstehungsursache der in Wirklichkeit existierenden sagenumworbenen Objekte (Steine, Bauten usw.) ist, haben die Folkloreaufzeichner wissenschaftlich begründete Erklärungen.
Das klassische Gebiet von Vanapagan sind die Kirchspiele Karksi und Halliste im südwestlichen Estland. Es gibt hier zahlreiche Sagen, wobei auch der Themenkreis des Gebiets äusserst reichhaltig ist. Diese Sagen erzählen von den ständigen Wohnstätten der Riesen, von ihren mit Abschied und Fluch zusammenhängenden Bräuchen, von ihrem Familienleben, den häuslichen Arbeiten usw. Der volkstümliche Vanapagan ist hier in Orts- u. a. Sagen eingedrungen.
Den Vanapagan-Sagen vom südlichen Tartumaa und von Vörumaa ist ein leicht humoristischer Grundton eigen (Vanapagan trägt hier z. B. Steine in seiner ausgezogenen Hose, nicht im Schoss oder mittels Stricken auf dem Rücken wie anderswo). Viele der hier aufgeschriebenen Texte sind länger und werden mit allen Einzelheiten erzählt. Die Sage kontaminiert dabei zuweilen mit dem Märchen.
Heutzutage haben die Vanapagan-Sagen, viel an ihrer Popularität, sowie einen beträchtlichen Teil ihrer klassischen Funktion - den Glauben an die Sage als eine wahre Begebenheit - eingebüsst. Ebenso verhindert die immer lebhafter werdende Heimforschung, die dazu beiträgt, dass Sagen und die mit ihnen verbundenen Orte sowohl mündlich (Exkursionen) als auch schriftlich (Täfelchen an entsprechenden Stellen, Druckschriften) popularisiert werden, den Prozess des Vergessens.
Vanapagan ist der typischste estnische Naturriese, der Steine trägt und wirft, wobei er in ihnen Spuren zurücklässt, Berge, Gewässer und andere Geländeformen bildet, mit seiner Familie in Höhlen haust, anderen Familien die Brotschaufel zuwirft und Stifel anfertigt, dabei einen Mann samt Pferd und Fuder mit der zum Nähen benützten Schnur versehentlich an den Stiefel heftet usw. Nur selten tritt Vanapagan, ebenso wie Tõll und Kalevipoeg, als Held und Beschützer der Menschen auf. Manchmal ist möglich die Vermischung der Riesensagen mit den Teufel-Sagen. So baut der Riese Brücken, um die Seelen derjeniger, die über die Brücke schreiten, an sich zu reissen. In mythischen Sagen macht sich gleichzeitig eine entgegengesetzte Tendenz bemerkbar: in Teufel-Sagen heisst die handelnde Gestalt Vanapagan. Eine derartige Erscheinung kommt ebenso in der Folklore anderer Völker vor (z. B. bei den Finnen).
Durch topographische Vergleiche hat sich feststellen lassen, dass die Gestalt Vanapagans und die ihn betreffenden Geschichten in den einzelnen Teilen Estlands äusserst verschieden sind. Auf dem klassischen Gebiet des Kalevipoeg sind die Vanapagan-Sagen verhältnismässig schwach vertreten. Als Gegner oder auch als paralleler Held von Vanapagan - wobei die Sagen sich voneinander nur durch den Namen unterscheiden -, tritt Vanapagan bloss im nordöstlichen Teil Estlands (Virumaa) auf. Auf den Inseln erscheint Vanapagan als ein ausgesprochener Widersacher von Suur-Tõll, kann aber alles, was Tõll tut/verrichten.
Unter den Sagen über das Entstehen der estnischen Berge sind am zahlreichsten die Entstehungsgeschichten der südestnischen Berge vertreten. Diese Berge entstanden, als Gott auf der einen und der Vanapagan (manchmal Teufel) auf der anderen Seite den Erdboden zusammendrückten. Ausser den südestnischen Bergen verdanken noch folgende ihr Entstehen dem Vanapagan: der Sandhügel im Sibula-Soo (Sumpf), der Berg Ellamaa auf Hiiumaa, der Penimägi im Kirchspiel Karja auf Saaremaa, der Hügel Pähnamägi und der Hain zu Tauga in Karksi, der Kirchenberg zu Tarvastu, der Vooremägi u. a.
Täler, Mulden und Gruben - d. h. Bodenvertiefungen - sind nur vereinzelt und mit einer geringen Zahl von Abarten vertreten. Zu den beliebtesten Motiven gehören die Schiffahrt mit der Absicht, die Insel Muhu mittendurch in zwei Hälften zu teilen, und Vanapagans Fussspuren und Schlafstelle in Paganamaa zu Krabi in Rouge. Infolge der Tätigkeit des Riesen sind noch folgende Bodenvertiefungen entstanden: Kuradiauk (Teufelsgrube) in Vaivara, die Gruben von Tölla in Abja, der Sumpf Palkaluse in Keila, ein Stück Landes ohne Grasnarbe unweit des Guts Kloostri in Lihula, die Gruben zu Jõdura in Pühalepa, die Mulde auf dem Hügel Ümarkantsi in Reigi, die Senkung auf dem Berg Tondijaagu auf der Insel Vilsandi, das Koodi-Tal in Halliste u. a. Auch das Entstehen der Insel Abruka und der Halbinsel Sõrve wird durch das Wirken des Vanapagan erklärt. Da die andere handelnde Person in diesen Sagen Suur-Tõll (Gross-Tõll) ist, sind die meisten Texte schon im zweiten Teil der Riesen- und Heldensagen abgedruckt worden.
Als Erzeuger von Gewässern ist Vanapagan nicht allzu populär: die meisten Aufzeichnungen sind einmalig, ausser der Entstehungsgeschichte des Sarapiku-Sees, die jedoch auch mit Suur-Töll in Verbindung gebracht wird und deshalb schon in der Sammlung von den Tõll-Sagen veröffentlicht worden ist.
Anstelle der infolge des Steinwurfes unter die Erde versunkenen Kirche ist der Kilsi-See entstanden, anstelle einer Handvoll Sandes der Sarapiku-See auf Saaremaa. Gleichzeitig mit Tõlls Weib kann im Kõiguste-Sumpf auch Vanapagans Weib weinen. Die Seen Tagamõtsa und Tabure in Paistu hat Vanapagan vom Turva-See abgetrennt, den Sikuti-See hat Vanapagan mittels eines Seils zusammengeschleppt, und die Seen zu Tsolgo sind gleichfalls von ihm geschaffen worden. Von den Flüssen, die Vanapagan ausgeschachtet hat, erzählt am volkstümlichsten die Sage über die Entstehung des Flusses Salme, vereinzelte Aufzeichnungen berichten über die Entstehung der Höhlen zu Kostivere (Karsterscheinungen) und von der Ausschachtung des Baches Virdeoja. Auch die Meerenge Väike Väin wird Vanapagan zugeschrieben. Verbreitet sind die Geschichten über das Entstehen der Quellen zu Odalätsi, wiederum mit Tõll verbunden. Ausserdem hat Vanapagan zu Arapere eine Quelle mit salzigem Wasser angelegt.
Ortsnamen hat Vanapagan verhältnismässig wenig erfunden. Wenn er zu Boden fällt und sein Gesicht verletzt, benennt er den Ort des Sturzes Reo (Pfunder); dem Ort, wo er sein bluttriefendes Gesicht trocknet, gibt er den Namen Vai(t)vere (Blut, still!). Vanapagans Schlafstein heisst Unikivi (Schlafstein) u. dgl. m.
In den Proportionsphantasien begegnet man zwei Themen: Vanapagans Stiefelanfertigung und Pelz- bzw. Hosenflicken. Die erste Sage wurde in Türi und Keila aufgezeichnet. Es gibt hier sogar ein Motiv, wonach der Mann samt Pferd und Heufuder im Nähdraht steckengeblieben sein soll. Beim Kleiderflicken benutzt Vanapagan als Nähnadel eine Heufuderstange, eine Pflugschar oder das Schienbein eines Pferdes, ein Fuderseil oder eine Fährentrosse dienen ihm als Nähfaden. Wenn der Himmel sich bewölkt, schiebt der Flicker die Wolken mit der Hand beiseite.
Von den bodenbildenden Feldarbeiten sind am verbreitetsten das Pflügen und das Mähen. Das Pflügen ist nur mit dem Tal von Uniküla-Kriimani-Miina in Haaslava in Vönnu verbunden. Der Pflüger kann auch Kalevipoeg gewesen sein.
Vanapagans Heuschwaden befinden sich in Püha auf der Viehweide des Dorfes Ilpla und im Sumpf Laugasoo, Kirchspiel Nõo. Diese Sage ist gleichfalls eine Parallele zu Kalevipoeg. Sporadische Berichte gibt es auch anderswo (in einer Sage aus Kadrina fällt das Heu überall dort, wo Vanapagans Mahd vernehmbar ist, zu Boden). Ausserdem soll Vanapagan auf der Insel Pakri und zu Suuressoo in Harjumaa gemäht haben. In einem Bericht erzählt man über eine Mahd als Entgelt fürs Essen - eine Tat, die an Kalevipoeg erinnert.
Wie ein grosser Teil der Sagen über andere Riesen, sind auch zahlreiche Vanapagan-Sagen mit Steinen verbunden.
Am zahlreichsten sind die Sagen über das Steinetragen vertreten. Als Träger dominiert Vanapagan selbst, sein Weib dagegen nur auf den Inseln Saaremaa, Muhu und an der Westküste des Festlandes, d. h. Dort, wo auch Tõlls Weib Hitzsteine trägt. Die Tatmotive der beiden Frauen sind fast dieselben.
Von den Sagen übers Steinetragen bilden die eine Hälfte Geschichten vom Brückenbau, unter der anderen Hälfte kommen am häufigsten diejenigen Sagen vor, die über Versuche, Kirchen zu versperren, berichten. Das letztgenannte Motiv ist nur auf den Inseln Hiiumaa und Saaremaa beliebt, und wird durch das Verrammeln der Türen eines Guts- oder Schulhauses weiterentwickelt. Man beabsichtigt, eine Kirche oder ein Dorf zu zerstören, feiernde Menschen zu vernichten oder Seeleute zu ertränken. Letzteres Motiv ist mit dem Koka- (Koch-) Stein auf der Insel Manija verbunden, wobei sowohl Vanapagan selbst als auch sein Weib im Mittelpunkt stehen. Sagen über Versuche, den Fluss Emajõgi oder die Meerenge von Muhu zu versperren, sind nur durch kleine Versionen vertreten. Ebenso kommen Sagen über Vanapagan, der Steine von der zu bauenden Kirche fortträgt, in Estland selten vor. Steine können auch zum Schutz der Hölle oder von Vanapagans Schatzgrube herbei-getragen werden.
Von den Sagen, in denen Steine mit der Absicht, etwas zu errichten getragen werden, ist ein grosser Teil in vielen Gegenden bekannt (*Karte). In den meisten Texten wird der Wunsch, eine Brücke zu bauen, nicht begründet, es gibt aber auch Sagen mit mehr ausgearbeitetem Sujet, in denen die Tätigkeit des Riesen motiviert wird. Die Brücke ermöglicht, von einem Ort zum anderen zu gelangen oder das Nasswerden zu vermeiden. In der Umgegend des Sees Võrtsjärv gibt es Sagen, in denen sich zu den Riesengeschichten ein christliches Motiv gesellt: wer über die von Vanapagan gebaute Brücke geht (nachts oder auch sonst), dessen Seele fällt dem Bösen anheim. Das Motiv der Seelenerschleichung enthalten auch zwei Geschichten über den Brückenbau auf Grund eines Vertrags oder einer Wette. An Popularität folgt die Begründung, dass Vanapagan Brücken baut, um schneller die Stelle zu erreichen, von wo man ihm etwas zuruft, oder wo er die Seele eines Selbstmörders an sich reissen könnte. Manchmal sei es nötig, einen geraden Weg zwischen zwei Dorfkrügen zu bahnen, damit die Trunkenbolde es leichter hätten, von einem Krug zum anderen zu gelangen. Vanapagan will nicht, dass die Dorfweiber ihn sehen oder rügen, oder dass die vorüberziehenden Fronarbeiter seine Nachtruhe stören. Ausserdem kann Vanapagan die Brücke auch seiner Mutter zuliebe bauen, denn die Stelle, wo sie sich mit dem Badebesen zu schlagen pflegt, befindet sich jenseits des Flusses, oder Vanapagan baut die Brücke aus Unmut, da er das Geschenk seiner Mutter verloren hatte, als er über den Fluss sprang. Auf der Insel Muhu baut der vor Suur-Tõll fliehende Vanapagan einen Weg ins Meer.
Ausser den Brücken will Vanapagan auch eine Kirche oder eine Stadt bauen. Die volkstümlichen Aufzeichnungen der Kirchenbausagen stammen aus dem südöstlichen Estland: Kanepi, Rõuge, Haanja, oder Vana-Roosa; aus denselben Gegenden stammen auch die meisten Auskünfte über die Städte des Vanapagan: Liinamägi bei dem Dorfkrug von Rebase in Rõngu, Juudapalu in Kuigatsi, Varetepalu in Kanepi (Kooraste) und der Steinhaufen in Juusa, die Grabstätten von Koiola in Põlva u. a. Ein Haus, die Hölle, einen Turm zur Himmelfahrt usw. kann Vanapagan nach vereinzelten Angaben auch anderswo bauen. Selbst für die Bauarbeiten der Stadt Petersburg hat er Steine tragen wollen. An dem Fluss Ahja beabsichtigte er eine Mühle zu errichten.
Viele Texte berichten einfach, dass Vanapagan Steine trägt, ohne dass hierfür ein besonderer Grund angegeben wird. Diese Geschichten sind teilweise zu motivierten Sagenbruchstücken geworden.
Der Misserfolg beim Steinetragen wird mit Verspätung bzw. Morgendlichem Hahnengeschrei begründet.
Im topographischen Bild des Steinetragens können grosse Verschiedenheiten festgestellt werden (*Karte). So ist das Steinetragen in Hosen nur im südöstlichen Teil Estlands bekannt. Im Futtersack, in der Schlinge und mit dem Sack auf dem Rücken trägt man Steine in Saaremaa; das Tragen auf dem Hutrand, im Hemdärmel, in der Hand und in der Westentasche ist ein Eigenart von Hiiumaa. Nur auf Muhu kommt das sehr eigenartige Tragen auf der Zehe oder im Bart vor. Am verbreitetsten ist aber das Tragen in der Schürze. Ausserdem kommen noch vereinzelte Berichte über das Steinetragen im Schoss, im Strumpf, im Stiefelschaft, im Rockschoss, im Handschuh und im Haar vor, oder der Stein wurde auf dem Wagen gefahren.
Steinewerfen
Das Motiv des Steinewerfens ist in fast ganz Estland verbreitet, mit Ausnahme der Ortschaften, wo der Riese Vanapagan überhaupt nicht bekannt ist. In Karksi und Halliste wird vom Steinewerfen nicht erzählt, wohl aber vom Steinetragen.
Vom Wurfwettkampf mit einem namenlosen Helden wird in Texten aus Hiiumaa, Läänemaa und aus der Umgegend des Sees Võrtsjärv berichtet. Als Mitbewerber des Teufels werden Kalevipoeg, Gott und der Wassergeist genannt, oder der Nebenbuhler wird überhaupt nicht erwähnt. Aus Hiiumaa und Rõngu stammen gleichfalls Aufzeichnungen über die Spielsteine der Vanapagan-Riesen. Ausser schon in den vorigen Bänden veröffentlichten Texten, in denen Vanapagan, Kalevipoeg und Tõll mit Steinen bewirft, kommt jetzt ein anderer Vanapagan oder sogar Jesus Christus hinzu.
Das Steineschleudern wird meist durch irgendeine Fehde gegen einen Bau oder ein Wesen verursacht, den bzw. das man mit dem Stein vernichten will. Ein grosser Teil dieser Texte berichtet vom Wunsch, eine Kirche zu zerstören. Dieses Motiv fehlt nur in Virumaa und auf Saare-maa. Am populärsten sind die Kirchen von Rapla, Pühalepa und Urvaste, es folgen diejenigen von Ridala, Martna, Torma und Tartu. Beim nächsten bekannten Motiv handelt es sich um das Steineschleudern nach einer Kirche oder einem Gutshaus. In einigen Sagen sind die Objekte der Fehde ein Rabe, ein Elen, ein Wolf, ein Hahn, ebenso der Mond, das Schiff (der Kreuzritter), ein Hochzeitshaus, oder die glücklichen Neuvermählten. Vanapagan kann einen lästigen Stein auch einfach aus dem Weg räumen, wie das andere Riesen tun.
In vielen Sagen wird der Grund des Werfens nicht erwähnt. Diese Sagen können aber ebenso originell wie die motivierten Sagen und bei weitem nicht einfach verkürzt oder im Verschwinden begriffen sein. Meistens misslingt der Wurf, als einzige Ausnahmen gelten die Geschichten über das Verschütten der Kapelle zu Kilsi, über die Erlegung eines Elchs und das Verschütten der Neuvermählten. Der Grund, warum der Wurf misslingt, wird meistens nicht erwähnt, nur zuweilen wird er angegeben: die Schlingenschnur reisst, der Hahn kräht, der Fuss rutscht auf dem Moos oder dem Mist aus, es wird zu stark oder zu schwach geschleudert, der Wurf geht schief oder die Hand ist krumm, der kleine Finger wird verstaucht, das Wetter ist neblig oder es bläst ein Gegenwind.
Die Abdrücke in Steinen, besonders Hand-, Pfoten-, Nagel- und Fingerabdrücke und Spuren der Schürzenbänder und der Schlingenschnur, sind meist infolge des Steineschleuderns oder -tragens entstanden, deshalb ist die in vielen Sagen vorkommende Erzeugung der Spuren als ein zusätzliches Motiv bzw. Beweismaterial anzusehen und bildet daher keine selbständige Geschichte.
Die Fussspuren von Vanapagan entstehen beim Betreten des Steins, wenn der Riese sich bei der Flucht beeilt, auf dem Stein steht oder springt. Der Abdruck kann auch dann entstehen, wenn ein Riese den auf ihn gezielten Stein zurückstösst.
Weiter gibt es noch Sitzplätze von Vanapagan, Löcher bzw. Spuren der Brust, des Gesichts usw., ebenso Spuren, die von Vanapagans Weib, Kindern und Pferd herrühren. Oft wird das Entstehen von Spuren durch den Umstand erklärt, dass die Steine in alten Zeiten weich gewesen seien.
Steine mit Abdrücken finden sich überall, wo Vanapagan mit Steinen in Berührung kommt.
Dass Steine mit gewissen Löchern und Vertiefungen sind oft Opifersteine gewesen.
Die Versteinerungen bilden eine verhältnismässig kleine Gruppe unter den Sagen über den Riesen Vanapagan. Ursprünglich dürften die Versteinerungssagen wahrscheinlich selbständig gewesen sein. Von den Tõll-Sagen ist die Sage vom populären Hookivi (Schwungstein) - das versteinerte Pferd von Vanapagan oder Vanapagan in Pferdegestalt - veröffentlicht worden. Lediglich eine Abart der Versteinerung des Pferdes wird mit Tõll in Verbindung gebracht. Ein anderer Stein, das an Vanapagans Pferd erinnert, befindet sich auf der Halbinsel Vätta im Dorf Kalluka. Die Versteinerung ist entweder infolge Gottes Einmischung oder aus einem anderen, im Text nicht erwähnten Grund, zustandegekommen.
Die Versteinerung eines von Vanapagan geraubten Mädchens gibt es in Laagna.
Die Sage vom «versteinerten Nachen» in Himosoo zu Kanepi hat sich gleichzeitig mit der Sage von Kalevipoeg verbreitet. Ein anderer versteinerter Nachen befindet sich am Löödla-See zu Urvaste, und ausserdem berichtet man über den Nachen im Dorf Atla auf Saaremaa. In Rõuge spricht man auch von versteinerten Nüssen.
Auf verschiedene Weise beteiligt sich Vanapagan an der Gestaltung von Geländeformen. Der gegenwärtige Band enthält Texte, die irgendwie durch einen Handlungsort konkretisiert werden.
Von den Wohnorten des Vanapagan wären in erster Linie die Höllenpfuhle (Höllen) zu Karksi und Halliste zu nennen. Die wichtigsten unter ihnen sind Koodiorg, die Höllen zu Mäkiste und zu Karksi, ebenso die Hölle zu Abja, das Vaida-Tal, der Pulgaorg (-Tal), die Hölle zu Hendrikhansu, Sillavalgme. In diesen Orten hausen die Vanapagan-Riesen mit ihren Familien, werfen den Nachbarn eine Brotschaufel leihweise zu, taufen ihre Kinder, laden zur Taufe auch Menschen ein, besuchen sogar Menschen und schenken ihnen heisse Kohlen, die sich später auf dem Felde in Gold verwandeln, nicht aber dann, wenn mann sie einfach wegwirft. Wenn die Vanapagan-Riesen irgendwie verletzt werden, rächen sie sich und bringen einen Viehkadaver, den man hinter ihre Tür gelegt hat, zurück in die Wohnhäuser der Menschen. Vorübergehenden Menschen jagen sie Angst ein. Wenn Menschen sich bei ihnen am Tisch bekreuzigen, verwandelt sich das Essen in Mist.
Auch ausserhalb von Karksi und Halliste kommen gelegentlich Vanapagans Wohnorte vor: das sind die Hölle zu Ton (534) und das Höllental (Põrguorg) zu Õisu; weiter kommen Wohnorte vom Teufel im See Võrtsjärv vor, und zuletzt gehören zu seinen Wohnorten Tikõtare in Räpina, Juuda tare (des Teufels Stube) in Obinitsa usw. Ausserdem hat er mehrere Arbeits- und Wirkungsstätten gehabt: auf der Steilküste Kallaste in Hiiumaa hat Vanapagan eine Schmiede stehen, im Bach Pullioja zu Hargla wäscht er Wäsche, er selbst oder sein Weib haben in der Höhle Notskme in Räpina (581), in der Höhle Pimeoru in Valgemetsa und in den Höhlen des Flusses Võhandu gewoben. Vereinzelte Berichte gibt es über die Kneipe im Turje-Keller in Kuusalu und über die Darrstange in Kukeleste zu Kõpu, die Vanapagan aufgestellt und die wie ein Baum Wurzel geschlagen hat, usw.
Sagen über Vanapagans Abschied und Tod sind auf Saaremaa bekannt, wo er während der Flucht vor Tõll im Meer ertrinkt, zuvor aber noch einen Teil des Landes verflucht, dass es arm und kinderreich werden soll. Die Geschichten über Vanapagans Scheiden und Tod sind am populärsten in Karksi und Hailiste, wo er vor geistlichen Liedern flieht und dabei flucht: Mögen die Scham und das Wachstum der Ochsen verschwinden! Der aus der Hölle zu Tori in die Flucht getriebene Vanapagan erhängt sich selbst an einer siebenastigen Kiefer im Kuradi-männik (Teufelskiefernwald) zu Tohera. Den in der Nähe von Saaremaa ertrunkenen Vanapagan fressen Dorsche auf.
Ein gutes Beispiel für die Verschwommenheit der Grenzen von verschiedenen Arten der Folklore sind die am Ende der Texte veröffentlichten Märchen, in deren Mittelpunkt als handelnde Person Vanapagan steht. Der Handlungsort ist dabei jedoch sagenhaft konkretisiert. Aus dem Märchenmotiv, demnach der Riegenkerl (Aufseher beim Dreschen) Vanapagans Auge mit geschmolzenem Blei geheilt haben soll, ist in Rõuge und Urvaste im Laufe der Zeit eine entsprechende Sage entstanden. Die Vanapagan-Riesen sollen unter heftigen Schmerzen in den Sumpf Juudajärve (Teufelssee) zu Sanna und in den Ess-Sumpf gelaufen sein. Auf dem Koika-Berge zu Vigala habe Vanapagan ein Seil aus Sand zu winden versucht. Als Vanapagan Ants 5 Kesselvoll Gold brachte, habe Letzterer den Vaskna-See nicht mit dem Seil zugezogen. Vanapagan will Ants am Fusse des Kunni-Berges zu Kasaritsa umbringen.