Märchen

1. Das Märchen von dem Hausgeist

Es war einmal ein reicher Gutsherr. Dieses Gutsherr hatte eine böse Eigenschaft. Er war über die Maßen jähzornig. Einmal befahl er seinem Koch eine gute Suppe zu bereiten. Doch kaum war den Kessel auf dem Feuer und die Suppe fertig, als ein kleines Männchen erschien und um einen Löffel Suppe bat. Der gutmütige Koch erlaubte es auch. Doch kaum hatte der Kleine seinen Löffel in die Suppe gesteckt, als der Suppengrassen auch schon leer war. Bestürzt ging der Koch zu den Gutsherr und teilte ihm das geschehene mit. Der war sehr erzürnt und sagte, wenn das Männchen sich zum zweiten Mal sehen lassen werde, solle er es mit einem Löffel lauf dem Kopf schlagen. Der Koch versprach es. Kaum war der Suppe wieder bereit fertig als der Kleine wieder bereits erschien und mit beweglichen Worten um ein Strickchen Fleisch aus dem Kessel bat. Der Koch, der ein gar gutes Herz hatte, erfüllte die Bitte des Kleinen, denn er meinte, dieses werde wohl nicht so unverschämt sein, wie das vorige Mal. Doch kaum hatte die Kleine der Suppenschüssel berührt, als die Schüssel auch bereits leer war. Erschreckt lief der Koch zum Herr und meldete ihm das Vorgefallene. Der geriet in furchtbares Wuth und sagte, wenn das dem Koch noch einmal passieren werde, müsse er sein Bündel schnüren. Ganz traurig kam der Koch in die Küche zurück und setzte einen Brei aufs Feuer. Sofort kam der Zwerg wieder und sagte sein Kind sei schon krank und hätte nichts zu essen, und ob er ihm nicht einen halben Löffel Brei geben könne. Schließlich wiegte des Kochs gutes Herz und er gab dem kleinen von dem Brei. Im selben Moment war auch der Brei bereits werschwunden und der kleine mit ihm. Da erschrank der arme Koch gar sehr und wusste nicht was er beginnen sollte. Er dachte und dachte. Doch endlich musste er sich doch dazu entschliessen dem Herrn zu beichten. Der war furchtbar ergrimmt, liess dem Koch verprügeln und warf ihn heraus. Als der Koch sich aufmachen wollte um fortzugehen trat plötzlich das kleine Männchen vor ihn hin, nahm den Kopf bei der Hand und führte ihn eine steile Treppe, die sich hinter den Ofen befand hiunter. Der Koch wußte nicht wie ihm geschah. Er sah einen richtigen kleines Palast von sich. Der Kleine berührte seine Stein mit einem Stäbchen und der schrumpfte der Koch zusammen und wurde so klein wie das Männchen war. Als sie ins Schloß kamen bot sich dem Kich eine solche Pracht dar, dass er geblendert die Augen schließen mußte. Durch Zimmer von Gold und Silber gelangten sie in eine Kleine Schatzkammer. Dort hob das Geistchen eine goldene Truhe von einen silberen Teller herab, offnete den Deckel und gab dem Koch eine kleine hölzerne Schachtel. Als der Koch nichts mit dem Schachtelchen anzufangen wusste, meinte der Kleine, der Koch brauche nur dreimal auf das Kästchen zu klopfen und sofort habe er alles was er sich nur wünschen könne. Der Koch bedankte sich bei dem Männchen und dieses klatschte dreimal in die Hände und der Koch verfiel in einen tiefen Schlaf. Als er aufwachte, stand sein Herr vor ihm. Er befand sich wieder in die Küche. Als der Gutsherr das seltsame Kästchen sah, fragte er den Koch was er darin habe. Der Koch meinte sein Herr möge dreimal auf das Kästchen klopfen und sich dabei was wünschen. Der Herr wünschte sich etwas er sofort lag es in dem geöffneten Kästchen. Der Fronvogt aber hatte unterdessen den Befehl erhalten die Suppe zu kochen und das Männchen bei seinem Erscheinen mit den Löffel auf den Kopf zu schlagen. Er führte den Befehl seines Herrn auch promt aus und der Kleine verschwand. Sobald aber der böse Vogt das Kästchen erblickte, fuhr ein Knüppel heraus und verdrosch den Vogt so, daß er sich drei Tage lang nicht rühren konnte. Der Koch aber wurde durch das Geschenk der Kleinen ein reicher Mann.
So lohnen die Hausgeister eine gute Tat und bestrafen böse Menschen.


2. Der Rokokozwerg

Sommernacht. Tiefes Schweigen über dem alten Park. Silbener Mondschein auf den engen verschlungenen Wegen, Mondschein auf dem Rosenrondell vor der Anfahrt. Langsam rollt die alte Postkutsche vor das Schloss. Ein weißhaariger Kastellan öffnet den Schlag. Grüßend fragt er nach meinem Begehr. Ich erkläre ihm, daß ich um einen kurtze Unterkunft im Schloß bitte, dessen zur Zeit verreiste Besitzer ich kenne. Nach einigem Zogern und kurzer Musterung willfahrt der Alte. Mit langsamen, gemessenen Schritten schreitet er vor mir her. In seiner schweigenden Würde scheint er selber ein Stück dieses schweigenden, geheimnisumwitterten Schlosses zu sein. In tiefem Zauberschlaf liegen die Hallen und Gänge, Mondstrahlen tanzen darüber hin. Mir ist, als erlebte ich in ein Märchen aus uralten Zeiten. Schweigend folge ich dem Alten. Seltsam hallt der Klang unserer Schritte durch die Stille. An vielen verschlossenen Türen geht es vorbei. Eine breite gewordene Treppe nimmt uns auf, wir sind im Oberstock. Umständlich zieht der Alte ein großes, rostiges Schlusselbund hevor. In den Angeln kreischend öffnet sich die Tür. Das Zimmer sei lange nicht bewohnt gewesen, bemerkt der Kastellan, die Henschaft bewohne stets den Unterstock. Der Alte entzündet die Kerzen in den schweren, silbenen Leuchtem und entfemt sich. Seltsam unwirklich ist mir zu Mute. Feiner Lawendenduft umgibt mich, wie ein Lauch ligt er über den zierlichen Möbeln, über die das flackende Kerzenlicht zückt. Ich blicke mich um. Ein Märchen des Rokoko ist dieser Raum. Wie zierlich geschwungen diese Tischchen und Stühle, wie fein das Schnitzwerk am alten Spinett; verstaubt blickt der Spiegel aus schwerem, vergoldetem Rahmen, das Glas ist blind geworden im Laufe der Zeit, an den Wänden alte Bilder, – zierlich graziöse Damen mit zarten, gleichsam aus Porzellan modellierten Gesichten, Kavaliere im Spitzenjabot, den Galanterie legen an der Seite; auf dem Kamin die Rokokopendule.
Ein leises Pochen an der Tür. – Der Kastellan tritt ein Leise, unhörbar fast serviert er den Tee hauchdünnen, feinen Serviestassen und geht hinaus unhörbar wie er gekommen. Mit dumpfem Klang schließt sich die Tür, jäh zerreißt der Ton die Stille, hallt noch lange in der Nacht. Ich bin allein. Mir ist als sei die Gegenwart entflohen, und längst Vergangenes – entstanden ist es wieder. Mir ist als müßte etwas geschehen, etwas Wunderbares, Seltsames. – Zu schön ist diese Sommernacht! Ich offne das Fenster, der Nachtwind streicht herein. Leise bewegen sich die Vorhänge, leise rauschen die Wipfel der Bäume, – ein Flüstern und Raunen von Längst geschehenem, längst Entschwundenem. Jenes alte Spinett dort am Fenster, hat es die Besitzerin nicht eben erst verlassen. Mir ist als gleiten unsichtbare Hände über die Tasten, und ein altes Lied klingt durch die Kerzen. Silberen Mondschein ergießt sich ins Zimmer. Ein Monstreif gleitet über die alten Bilder an der Wand. Da ist es als ob seltsames Leben in sie käme. Ein Lächeln spielt um die Lippen der schönen Frauen in weißer Perücke und steifem Reifrock. Zierlich, im Menuettschritt haben sie den Fuß im hohen Stöckelschuh, als wollten sie aus dem Rahmen treten. Lockt sie der Zauber der Mondscheinnacht hinaus in den schweigenden Park? Wollen sie lustwandeln auf den verschlungenen, mondbeschienenen Wegen – wie einst? Oder zwischen Rosenhecken sich haschen in lustigem Schäferspiel – wie einst? Klingt nicht silbernes Lachen durch die Stille der Nacht? – Phantasiegespinste! Ich streiche mir über die Stirn – Nie offnet sich das Tor, das hinter Vergangenem sich schloss. An verschlossene Pforten nur klopft Sehnsucht, – auf verwehten Wegen träumt Erinnerung. – Wo sind sie hin, diese Kinder einer sorgenlosen Zeit, die spielend lebten, spielend liebten, spielend durch das Leben schritten? – Ein Mondstrahl hat sich in einem der Fenstervorhänge verfangen, er webt eine schimmernde, silberne Brücke vom Fenster ins Zimmer hinein. Da bewegt sich der Vorhang leise, – täuscht mich ein Gebilde meiner Phantasie, – oder ist in dieser Sommernacht alles möglich? Wie hingewebt von den Strahlen des Mondes kauert ein kleines Wesen auf der Fensterbrüstung. Altetümliche Tracht umhüllt einen Zwergenkörper. Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, – ein Rokokozwerg! Ja, der passt hierher in das Rokokomärchen, ein Rokokozwerg, eins jener armen, krüppelhäften Wesen, die zum Knechtschaft geboren, in Knechtschaft lebend, in Knechtschaft sterbend, – ein Stück Schlossgut – mit zum Hofhalt der Herrschaft gehörten. Ein Mondstrahl gleitet über die kleine Gestalt, Täusche ich mich oder sehe ich wirklich. Tränen in den Augen des kleinen blinken? Armer kleiner Hofnarr? Was zieht dich in diesen Raum zu dieser Nachtstunde? Haben die Mondstrahlen dich nicht schlafen lassen, findest du keine Ruhe im Grabe? Was war dein Leben, dein Schicksal? Hast du's gewagt, deinem Herrn zu trotzen, verlangtest du dein Menschenrecht, oder – hast du's gewagt, die Augen zu der Herrin zu erheben? Dringt da nicht ein Stöhnen aus der kleinen Brust, ein wehes Scheuchzen durch den Raum? Weine kleiner Hofnarr, weine – zu lange mubtest du lachen. – Mondscheinzauber! Mondscheinnacht! – Eine Wolke schiebt sich wohl vor den Mond? Die Gestalt ist verschwunden. Ich lage mich nieder, morgen abend mub ich fort. Drauben webt die Sommernacht, es träumt der alte Park. Es schweigen die Mauern des Schlosses, sie wahren ihr Geheimnis.
Hell strahlt die Nachmittagssonne vom blauen Sommerhimmel herab. Durch goldgelbe Kornfelder und grüne Wieser mub ich hindurch, ehe ich zu dem schmucken Häuschen des Pfaffers gelangen., bei dem ich einen Besuch machen will. Es ist ein freundlichen alter Herr, stets zu einem Schwätchen aufgelegt, seine Frau ist von Jahren gestorben. Seine zwei Buben tollen durch den Garten. Erfreut begrübt mich der alte Herr, es sitzt sich so gemütlich in der von wildem Wein umsponnenen Laube. Der Alte schmaucht sein Pfeifchen, wir reden von diesem und jenem. Ich erzähle von meinem Reise, vom Schlob, wo ich übernachtet habe. Da horcht der Pfarrer auf. "Drüben, im alten Schlob, sagen Sie, im Oberstock?" Ich bescheibe das Zimmer. Da ruft er überrascht: "Dann haben Sie im Zimmer der Rokokogräfin geschlafen!" – "Rookokogräfin?" frage ich und bitte ihn, mir doch von ihr und dem Schlob erzählen. "Was ich weib, ist nicht viel," sagt er sinnend, und racht behaglich sein Pfeifchen. Ich könne nur selten ins alte Schlob, aber mein Grobvater wubte so manches zu erzählen, und er hatte es wieder von seinem Vater. Ja, es ist lange her, es gab eine Zeit, da lag das Schlob nicht so still und verlassen da wie jetzt, da tollte lachendes Leben durchs Haus. Von Lachen und Scherzen erschallte der alte Park, und zwischen den blühenden Hecken buschten Damen und Kavaliere in farbenfrohen Tracht. Im groben Saal des Schlosses wurde Fest auf Fest gefeiert, allabendlich strahlten die Kerzen in die Nacht hinaus. Ja, die Rokokogräfin verstand es Leben in das alte Schlob zu bringen." "Wer war denn der Rokokogräfin?" frage ich. "Keiner wubte eigentlich, woher sie gekommen. Von einer seiner weiten Reisen hatte sie sich der damalige Herr des Schlosses geholt. Am Schönheit kam ihr keine gleich. Wie eine kostbare, schöne Blume war sie, alle Kavaliere der Zeit vergötterten sie, und der Graf lag ih zu Füben. Und sie, – sie streichelte ihr Schobbündchen und lachte. Ein echtes Kind des Rokoko war sie und trug mit Recht den Namen "Rokokogräfin". Zwei Dinge mubten immer um sie sein, ihr Schlobbündchen und der Rokokzwerg." – "Der Rokokozwerg?" Ein Schei will über meine Lippen, doch ich bezwinge mich, und der Pfarrer fährt fort: "Mein Urgrobvater hat ihn oft gesehen, er war der Herrin so ergeben, und sie behandelte ihn auch gut, wenn er sprübend und voll toller Einfälle sie und ihre Umgebung belustigte. Wehe aber wenn er ihre Ungnade erregte! Doch keine Klage kam je über die Lippen des Kleinen. Ja, der Rokokozwerg einmal in einem Sommernacht, als mein Urgrobvater durch den alten Park geht, sieht er auf einer Bank, im Licht des Mondes, ihn, den Rokokozwerg. Heibes Schluchzen erschüttert den kleinen Körper. Doch wie er Schritte hört, springt er auf und verschwindet im Dunkel der Nacht. Seitdem hat ihn keiner gesehen, er war für immer verschwunden. Men Urgrobvater hatte den Kleinen gern, er fragte einemal nach ihnen, da meinte die Rokokogräfin lachend, sie habe an ihrem Schobbündchen genug und der Zwerg sei ihr langweilig geworden.!" Das Pfeifchen des Altes ist ausgegangen. Die letzten Strahlen untergehenden Sonne färben rötlich den Horizont. Ich verabschiede mich. Und schlage in tiefen Sinnen den Heimweg ein. Armer kleinen Rokokozwerg. Rätselvoll ist dein Schicksal, rätselvoll wie alles in diesem schweigenden Schlob. Vor der Anfahrt steht schon die alte Postkutsche. Der Kastellan hilft mir hinein, legt meine Sachen in den Wagen. Dann tritt er grübend zurück, der Postillon bläst ein Liedchen in die kühle Abendluft und fort rollt die alte Postkutsche, durch den stillen Park, dem Tal entgegen. – Lebe wohl der altes Schlob, der verzauberter Park, lebe wohl, kleiner Rokokozwerg.


3. Estnisches Märchen

In Südestland, irgendwo hinter Fellin soll einmal vor Zeiten ein grober dichter Wald gewesen sein, und in diesem Walde, so sprachen die Bauern, war ein grober, dicker Baum. Der Baum überragte alle anderer Bäume und war so dick wie sieben Birken zusammengenommen. Unter diesem Baum, so erzählte man sich, sollte ein grober Schatz vergraben sein. Alle Bauern wollten ihn haben, aber sie wubten nicht wie das anzufangen wäre. Nicht weit von dem Wälde war ein Dorf. Dort lebte ein Schmied, mit seinen drei Söhnen. Zwei von ihnen waren sehr arbeitsam und fleibig, der dritte aber, den alle "Hans den Dümmen" hieben, liebte nichts so sehr als im Walde herumzustreifen und dem Vogelzwitschern zuzuhören. Nichts wünschte er sich sehnlicher als die Vogelsprache zu erlernen. Das war aber sehr schwierig. Da er aber so versessen darauf war, lief er eines Nachts weg vom Elternhause und verdingte sich als Lehring bei einem Weisen. Zwei Jahre dauerte die Lehrzeit. Als der letzte Tag herangekommen war, übergab der Zauberer Dumm- Hans eine Feder, eine wahe Honig, ein Stückchen Wachs und sagte: "Iss den Honig nicht auf. Du wirst ihn gebrauchen, und höre auf das was die Vögel singen – du verstehst ja jetzt der Sprache der Vögel – dann wird es dir wohl ergeben. Hans bedankte sich, nahm die drei Dinge und ging fort.
Nach einiger Zeit hörte er zwei Sperlinge zwitschern. Sie erzählten einander von einem groben Schatz, der unter einem groben Baum verborgen sei und sprachen davon wie man dahin gelange. Hans holte sich eine Schaufel aus dem benachbarten Dorf, machte sich auf den Weg und schritt tapfer aus bis er zu dem Bäume kam. Da sah er die beiden Vögel auf den Vipfel sitzen. Hans grub in der Erdes und bald sah er eine grobe, eiserne Riste, in deren Schloss ein grober, rostiger Schlüssel steckte. Wie Hans eben den Schlüssel umdrehen wollte, hörte er ein Brüllen und sah einen furchtbaren Bären auf sich zukommen. Da hörte der Bauer den Sperling zwitschern: "Gib dem Bären den Honig." – Hans tat es und der Bär verschwand. Wieder versuchte Hans den Schlüssel umzudrehen, da hörte er Flügelschlagen und sah einen riesengroben Adler, den sich auf ihn stürzen wollte. Wieder hörte der Bauer den Sperling rufen: "Gib die Feder dem Adler".– Da warf Hans die Feder nach dem Riesenvogel – und es verschwund. – Plötzlich hörte Hans eine klägliche Stimme hinter sich, die rief in einem fort: "Hilf mir doch, blick dich um." Schon will Hans sich unblicken, da hört er die Sperlinge zwitschen: "Wenn er klug ist, – wird er sich nicht umblicken, sondern Wachs in die Ohren tun, – dann ist der Schatz sein." – Hans nahm schnell das Wachs zur Hand, stopfte sich's in die Ohren, nahm alle Kraft zusammen, drehte den Schlüssel im Schloss – und aufsprang der Deckel der Reste. Diese war bis zum Rande mit Schwendendukaten gefällt.
So wurde aus Dumm- Hans ein reicher Mann. Er kehrte zu den Seines zurück, tat viel gutes mit seinem Reichtum und wurde "Hans der Gute"genannt. Der Baum aber wurde lange Zeit nicht gefällt. Einmal aber kam ein furchtbares Gewilder über das Land, – der Blitz spaltete den Baum und der Baum verbrändte.


4. Eine für viele oder das Märchen von der Moorjungfrau

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne küssen die stille, friedliche Heide, rotlich schimmert das Heidekraut. Ein Schmetterling nur flattert träge von Blume zu Blume – tiefe Stille ringsum. Leise rauscht das Schilf im Moor. Ein Flügelschwirren in der Luft – eine Wildentenschaan fliegt auf Bleiern lagert die Dämmerung über der Heide. Von dem fahlen Gelb des Himmels hebt sich die uralte, schwarze Eiche – aus der Heidenzeit ab. Wie anklagend reckt sie ihre verdorrten, gigantischen Arme zum Himmel empor. Leise senkt die Nacht ihre Schleier über Herde und Moor. Feuchter Nebel steigt empor, er wallt auf und nieder und ballt sich zu gespenstischen Gestalten. Aus dem weisswallenden Dunst lebt sich's wie eine Gestalt, eine Jungfrau mit wehendem Haar. Beschwörend hebt sie die Arme zum Himmel empor und – zugeht in Dunst und Nebel. – Heidespuck- Heidezauber.
Tausend Jahre zurück. – Herbstnacht. Der Sturm heult und stöhnt und haust um die einsame Hütte die wie schutzsuchend im Schatten der stämmigen Eiche auf einem kleinen Hügel steht. Heulend reißt der Sturm an der Tür und fährt wie ein Höllenspuck durch den Rauchfang hinab, dass das Stroh auf dem Dache knarrt und der flackernde Kienspan in der rauchgeschwärzten Stube zu verlöschen droht. Grossmutter und Enkelin sitzen friedlich beisammen. Leise surrt das Spinnrad des jungen Bauernsmädchens, träumerisch schaut sie vor sich hin. " Was sinnst du Mädchen ?" fragt die Greisin. "Mutter, sahst du die Ritter, die gotterngleich unser Land durchziehen und eine neue Lehre verkündigen von einem unsichtbaren Gott, dem alle, selbst die Ärmsten und Geringsten lieb sind? –
"Wohl habe ich sie gesehen, sie, die dem Reich der Schatten und der Finsternis entstiegen sind, die unsere alten Götter vernichten wollen. Aber unsere alten ehrwürdigen Götter werden es nicht zulassen, daß der neue Gott sie verdrängt und werden diejenigen zuschmettern die es wagen mit frevler Hand in altes Recht anzutasten. "Aber Mutter...." " Ist auch dein Sinn schon verblendet, deine Seele dem Teufel verfallen, dein Herz umstrickt und umgarnt von den falschen, gleissnerischen Lügen und Reden dieses (Neuen) aus dem Schreckensreiche Manalas Entsteigene? – Ich will es nicht glauben, und jetzt sei still davon Mädchen, ich bin müde und will ruhen. Tiefes sinkt das Haupt der Greisin auf die Brust, sie nickt und schlummert ein. Wieder zurrt das Spinnrad leise. Der Faden entgleitet den Händen des jungen Mädchens. Traumend lauscht sie dem Toben des Sturmes. Da – harte polterndes Schritte vor der Tür, ein Stimmengewirr aus rauchen Kehlen, die Tür geht auf und kalter Luftzug drügt herein. Erschrocken fährt die Greisin aus kurzen Schlummer empor. Wilde, beinenhafte Gestalten dringen in die Hütte. Allen voran ein kann, bärenstark gebaut, mit wildem trotzigem Blick, ein Elenfell um die Schultern, einen Knüppel in der Hand. " Jetzt haben wir sie endlich, die Hunde, die in unser Land gekommen sind, die die Herzen unserer Angebringen vergiften wollen mit ihrer neuen Lehre, die unser Volk zu Sklaven machen," ruft er grimmig. "In dieser Nacht gehen sie alle zu grunde. Sie haben mich als Führer gedungen und ich werde sie wohl zu führen wissen – in ewige Nacht, in das schwarze Moor. Schon werden sie erwartet in Manalas Totenreich." Ein Strahl wilder Freude bricht aus dem erloschenen Blick der Greisin: "Wann trifft sie die Rache unserer Götter?" "Noch heute um Mitternacht, doch die Zeit drängt – wir sind auf dem Wege dahin und müssen eilen." Mit diesen Worten verlassen sie die Hütte. Zitternd, totenbleich steht das Mädchen da. "Was tun ?" ist ihr erster Gedanke. Verzweiflung erfüllt ihr Herz. Sie sieht – Reiter mit webenden, weissen Manteln, und mit dem roten Kreuz auf der Schulter uber die Heide dahinjagen, und allen voran er, den sie schon oft gesehen, mit stoltzem herrischen Antlitz und strahlenden blauen Augen Vertrauensvoll uberläßt er sich der Führung und weiß nicht daß der schwarze Tod bereits seines harrt sein junges Leben zu verschlingen. Immer näher kommt er dem Moor, dem furchtbaren, grundlosen Moor. Gespenstisch grollt es in der Tiefe. Geöffnet ist der schwarze Schlund, bereit das Opfer zu empfangen. Gleich wird das furchtbare geschehen... "Nein, das darf nicht sein," ruft sie aus. "Ich muss hin und sie retten!" "Was sprichst du da mein Kind" fragt die Grossmutter müde:"Die Ritter, ich muss sie warnen, retten !" Jäh richtet sich die Greisin auf, ein wildes Feuer flackert in ihren Augen.
" Dein Volk willst du verraten ?" " Nein, Mutter nur meine Pflicht will ich tun." Leise, flehend nähert sie sich der Großmutter, doch wild schlendert diese sie zurück. " Habe ich eine Natter an meinem Herd genährt? Habe ich einen Wolf gefättert und erzogen dass er mir im Alter das Herz zufleischt. Weh, weh mir Armen. Habe ich dich deswegen in meiner Hütte aufgenommen und an meinem Feuer gewärmt, als du ein kleines, unbeholfenes Kind warst, nach deiner Mutter Tode, daß du mir jetzt diese Schande willst antun, die die uns Knechts willst du erreten, was würde deine arme Mutter sagen?" Grossmutter auch diese Ritter haben Mütter zu Hause. Willst du die Tränen so vieler Mutter auf deine Seele laden. Doch die Zeit drängt. Der Tot wartet nicht, ich muß fort. –
Da richtet die Greisin sich empor. Hochaufgerichtet steht sie da. Wildes Hass bricht aus ihren Augen. Die Arme zum Himmel gehoben, den Blick seherisch in die Tenne gerichtet ruft sie in das Toben und Heulen des Sturmes: "Hört mich ihr stummen Schaltem aus dem Totenreiche Manalas ihr furchtbaren Geister aus dem Reiche Tualas. Eilt herbei ihr Riesen aus den idesten Schneewüsten Surmlas, eilt herbei und zuschmettert sie, die die es wagt, die sich aufzulehnen wagt gegen das Altes, sie die diejeniger retten will, die unsere Götter vertötenes und verspottes, die die Eichen des Taara zerschmetten die unser Volk in Retten legen und unsere freien Stämme zu Sklaven machen wollen. Die Rache unserer Gotter treffe sie die unser Volk verräten will. Verflucht sei sie in Ewigkeit. Keine Ruhe finde ihre Seele, weder im Leben noch im Tode. Hört mich ihr Schatten Manalas, ihr Geister Tualas. Ein Schei bricht aus dem Munde der Greisin, erschöpft sinkt sie zusammen die Augen geschlossen. Ein Schauer erfasst das Mädchen, totenbleich trägt sie die Grossmutter zum Bett und bricht auf die Knie nieder. Wilder noch heult und tobt der Sturm, als ob die alten Götter der Heiden ihre Kriegslieder singen wollten. Doch langsam wird es still in der Seele des Mädchens, eine niegekannte, süße Ruhe kommt über ihr gequältes Huz,und wie aus weiter Ferne hört sie die Worte der neuen Lehre, die sie ernst vernommen: "Deine Feinde sollst du lieben und die segnen die dir fluchen. – Da gibt es kein Schwanken mehr. Wie um Vergebung bittend, küsst sie die Hand der Toten und eilt in die Sturmnacht hinaus. Wild ächzt und stöhnt es in den Zweigen der alten Eiche, schrill gellt der Schrei des Kauzchens hinter ihr, wild pfeift der Sturm. In schnellem Laufe eilt sie über die einsame Heide zum Moore hin. Sie muß hinüber und am jenseitigen Ufer die Ritter warnen. Ein schmalen Fußpfad, nur den Wenigsten bekannt führt über die furchtbare Tiefe. Gefährlich ist es ihn zu benutzen. Ein Fehltritt nur, und der schwarze Tod hat ein Opfer mehr.- Entsetzen erfasst das Mädchen, doch mutig eilt sie vorwärts; das Haar vom Sturm gelöst, den Blick in die Ferne gerichtet. Wilder tobt der Sturm. Immer wieder hört sie den furchtbaren Fluch der Grossmutter, sie sieht die brechenden Augen drohend auf sich gerichtet und hat das dumpfte Gurgeln aus der Tiefe neben ihr. Wagte da nicht der braune Mantel der Mooralten im Wind, kam nicht da der graue Moorwolf geschlichen hinter ihr? Schauder schüttelt das Mädchen. Weißer Nebel wallt über dem Moor. Inlichts zucken hin und her und locken in die furchbare Tiefe. Der schwarze Tod will sein Opfer. Schon nähert sich die Tapfere dem jenseitigen Ufer, da – Hufschläge, Schreitsgeklirr - Reiter mit webenden weissen Mänteln jagen dem Moore zu. Sie sieht ein stolzes blondes Haupt, zwei kühne blaue Augen. Da hebt sie die Hände, winkt und schreit "zurück";"zurück". Die Reiter stutzen halten.
Der Verdüste ruft :"Verraten Kameraden, wenden – zurück. Vor uns liegt das Moor. Ein Engel hat uns gerettet. Da gellt ein Schrei durch die Nacht. Gurgelnd schlägt die Träge, schwarze Masse über der Retterin zusammen. Der Moorgeist hat seine Beute. Ein Hohngelachts schallt aus der Tiefe. Doch plötzlich schweigt der Sturm und aus den weißwallenden Nebel hebt sich's wie eine Gestalt. Ein Engel mit weißen Schwingen. Langsam hebt er die Hand und macht das Zeichen des Kreuzes über die Stätte, da das Mädchen versunken und über des ganze weite Land.


5. Die weibe Frau der Hapsalschen Ruine

Es isr ein wunderwollen Sommertag. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel hernieder auf die blühenden Wiesen und Felden. Ein Larchenfüller in blauen Luft. – Ein kleiner, schwarzer Punkt im wolkenlosen Blau. Mit hastigen Flügelschlägen strebt der kleine Vogel dem nahen Wäldchen zu, dessen schlanke Fichtenstämme majestätisch emporragen. Da rauscht es ein naher Lebeisch – erschreckt springt ein Hase in eiliges Lätzen davon. Ein Schub – und tot liegt der kleine Springer, der von kurzem noch seines Lebens sich freute zu den Füber des stattlichen Männes in Jägertracht. Das kurze, grüne Jägerwams umschliebt straff die schöne Junglingesgestalt. Über einer stolz geborgenen Nase schauen zwei strahlende dunkle Augen mit liegessicherem Blick in die Welt. Der Hase gleitet in den Rucksack des Jägermännes, der ihn über die Schulter wirft und mit eiligen, weitausholenden Schritten davongeht. Da – plötzlich stockt der Fub des Mannes. Sein Auge leuchtet auf. Hingerissen schaut er auf das reizende Bild vor ihm. Die Strahlen des Nachmittagssonne liegen wie ein goldener Fädenstrang auf dem blumenübersäten Boden. Ein moosüberwuchertes Hügel erhebt sich wie eine Muschel zwischen blühenden Gräsern und Blumen. Und auf ihm sitzt mit gestalteten Händen, den Blick der groben, grauen Augen traumerisch in die Ferne gerichtet, das reizendste Menschenkind, das je auf irdischem Boden wandelte. Wie ein goldener Mantel hängt das lange Blondhaar des Mädchens bis zu ihren Füben herab, und ein Kranz blühender Heckenrosen schmückt sein liebliches Köpfchen. Errötend wendet das Mädchen das Haupt – sie hat die Schritte des Herannahenden gehört – und als sie den schönen Jüngling erblickt, springt sie erschreckt auf und will befangen fliehen. Doch der Jüngling ist schneller als sie. Gewandt fängt er sie bei den Händen in dem er tief in die wunderschönen Märchenaugen blickt, fragt er leise: –" Wer bist du, schönes Kind? Nenne mir deinen Namen – bist du aus dem Herzen des Waldes, aus deinem ewig kühlen, grünen Tannenschlob hierher in die Mittagsonne, Willst du die Sonne verdunkeln mit dem Gold deiner Haare? Oder bist du die Rosenelfe? Warum stiegst du aus aus deinem goldigen Blütenkelch empor an das Licht des Tages? Willst du die Blumen ärgern mit der Schönheit deines Antlitzes? Oder bist du die kleine Seejungfer, weshalb stiegst du aus deinem kühlen Wasserschlob empor an die Oberfläche des Meeres und liebest dich von den wellen an diesen Strand tragen. Willst du den auf ewig zu deinem Vasallen machen, den der Blick deiner Märchenaugen trifft? Wahrlich wer du auch seist. Ich liebe dich von dieser Stunde an.–
Da schliegt das Mädchen die Augen nieder und sagt befangen: "Junger Herr, was scherzet ihr. Ich bin keine Fee, sondern nur eine arme Magd. Gannseliesel werde ich genannt, – und jetzt lasst mich gehen. Da zog der schöne Knabe des Mädchen an seine Brust, küsste es, die es träumend geschehen lieb und sagte: "Für mich bist du das Schönste und Beste, das ich je gesehen – Junger Königin, ich liebe dich und nichts soll dich mir entreiben." Bei diesen Worten fuhr ein Windstob durch der Kronen der Bäume, dab sie erzitterten. Die Sonne versteckte sich hinten dunklen Wolken – irgendwo schrie ein Käutzchen. Erbleichend löste sich das Mädchen aus den Armen des schönen Jüngligens und sagte: "Du bist mir von jetzt ab das Liebste, was ich habe auf der Welt, ich will für dich sterben, wenn es sein mub."
Stolz und düstes in erhabener Pracht erhebt sich zwischen dunklen Pichten das alte Ritterhaus. Grobe Fenster, überwölbt von gotischen Bögen, kannelierte Pfeiler vor der Anfahrt. Deister und prächtig ist auch das Innere des alten Hauses. Riesige Möbel aus schwarzer Eiche stehen um den groben, prächtig gedeckten Tisch, auf dem alten Silber gleibt und prunkt. Zwölf riesige Leuchter stehen zu beiden Seiten des Tisches. Da geht die Tür auf und drei Menschen treten herein. Voran, hochaufgerichtet, mit raschen, stolzen Schritten in schwarzem Mönchsgewande, das trotz der vielen Falten, in die es gelegt ist, den herrlichen Wuchs des Jünglings nicht verdecken kann, tritt der junge Herr des Hauses. Wo ist die Frische seiner Wangen? Wo der strahlende Blick der schwarzen Augen? Hart und streng schauen die Augen aus einem bleichen, übernächtigten Antlitz der Frauengestalt entgegen, die, auf den Arm des Priesters gestützt ins Zimmer tritt. Hochaufgerichtet blickt der Mönch der Mutter entgegen. Stumm (blicken) schauen zwei Menschen sich in die Augen. Derselbe Blick ja beinahe dasselbe Gesicht, nur so viel härter und strenger der Blick der gebietensche Augen im Gesicht der Greisin. Unterbittlich schaut sie dem Sohn ins Antlitz.
"(Glorium) Gloria deum in excelsis!" sagt da der Priester mit leise umflorter, doch seltsam eindrücklicher Stimme. Und seltsam sind auch die Augen. Fanatische Augen sind es. Unerbittlich, unergründlich, fruchtbar in ihrer Macht.
"Gloria est deum in excelsis," sagt der Priester und streckt dem Jüngling seine Rechte entgegen, die dieser wiederwillig ergreift und an die Lippen zieht. "Dominus laudetur," sagt die Greisin, "Es freut mich zu hören, daß unser lieber Vater zufrieden mit dis ist. Jetzt siehst du wohl selbst ein, eine wie große Huld dir zuteil geworden. Seit Jahren stets der älteste Sproß unsres Stämmes Preister. Ja, es hat sogar Kardinäle in unserer Familie gegeben, ich höre daß der heilige Vater großes mit dir vor hat. Da öffnet der Preister den Mund um zuzustimmmen, doch der Jüngling sagt hart. Laßt das Vater. Ich bin aus dem Kloster gekommen, um die Herrin des Schlosses zu sprechen. Das Wort "Mutter" bringt er nicht mehr über die Lippen. Und als die Tür sich hinter dem Preister geschlossen hat, springt er auf, geht auf die Frau zu, die ihn spöttisch lächelnd, mit ihren harten Augen anblickt und sagt, nein schreit. "Gieb sie heraus Mutter." Und als die Gestalt vor ihr stumm bleibt noch einmal. "Gib sie heraus. Sie ist mein. Du hast mein Leben verdorben. Mein junges Leben hast du vernichtet, du hast die Krafft meines Jugend gebrocken, gesteckt meiner jungen Körper in dies schwarze Gewand des Entsetzens und des Grauens und weshalb dies alle. Nur weil der älteste unseres Geschlechts Mönch sein muß. Du hast das Leben, das Glück deines Kindes geopfert eines Idee, eines (leerem) Sitte, leerem Schall und Rauch. Und jetzt, jetzt willst auch sie vernichten, sie die mir das Liebste ist, die einem Engel gleicht, der von Himmel gekommen, den Becher des Glückes dem verdurstenden Mensch an die trockenen Lippen hält. Ausgeliefert hast du sie diesen Wölfen in Schafskleidern, diesen harten, kalten Schatten im Mönchsgewande, die nur Sinn haben für hohlen Kirschenprunk und Psalmenlitanci, die als kaltes Blutes solch ein wunderbares Menschenkind töten werden, weil, – weil es sich über Sitte und Gebrauch hin weggesetzt, weil es alles, sein Leben und Glück riskierte, weil es mich liebte."
Ein Schei bricht aus seiner Brust, wie aus der Kehle eines gequälten Tieres. Vor dem Marienbilde bricht er zusammen. Da sprict die Greisin. Hart und kalt klingt ihre Stimme durch die bange Stille:
"Du vergisst, dass du der Spross eines uralten, edlen Geschlechts. Du vergisst das heilige Gewand auf deinem Körper und dass du zu den Auserwählten gehört. Du vergißt dich deiner Mutter gegenüber, die dich gesängt hat. Und alles das um sie, die dich mir entfremdet, um eine einfache Magd, die Sitte und Woherzogenheit vergißt, sich die Männerkleider steckt und wie eine Gefallene Nacht für Nacht die erhabene Stelle des Klosters entweicht und einem Edelmann Demut und Frömmigkeit vergessen läßt und ihn zur Flucht verführt. Als die Strafe Gottes schwebt schon über ihr Morgen wird sie gerichtet. Da klingt ein Brüllen durch den Raum wie das eines verwunderten Steires. Einer Augenblick scheint es als ob der Rasende sich auf die hohe Gestalt vor ihm stürzen wird. Doch da fällt sein Blick auf das schwarze Gewand und auf das Muttergittesbild an der wand gegenüber. Seine Arme sinken schlaff herab. Ein Röchels klingt aus der Brust des Gequälten. Dann klingt ein Schrei durch der Raum, der Schrei einer Menschen in höchstem Not. "Mein ist die Rache redet Gott." – Wie ein gefällter Baum fällt der Jungling schwer zu Boden nieder.
Sonntagmorgen. Kirchenglocken dumpft und schwer. Immer hin und her, her und hin. Es ist als ob die Glocken immer wieder ein und dieselbe unsagbar traurige Geschichte erzählten – und zwischendurch hallen lange, dumpfe Schläge, eines noch dem andern, in bestimmter Reichenfolge, der nachfolgende dem Wortergehenden folgend, monoton-, endlos-, grauenhaft. Jetzt ein Schei – ein Schei einer Seele in letzter, furchtbarster Not, – und dann wieder Axtschläge, jetzt eilig raschen hintereinander, –so als ob der Arbeitende sich recht beeilte seine Arbeit zu vollenden und dann – alles still, – grauenhaft still. –Stille des Todes; des Schreckens, des Entsetzens. Da – leise hebt es an, immer lauter und lauter. Der Gesang aus vielen Hundert Kehlen. "Gloria est deum in exelsis." Wie ein Meer – ein endloses schwarzes Meer sicht sie aus diese Menge von Gestalten in schwarzem Mönchsgewande, die Augen züchtig zu Boden geschlagen, den Rosenkranz in den Händen. Da tritt der Prior des Klosters aus das Menge hervor. Mit sangter Stimme spricht er: "Sie war eine Sürderin. Gott hat sie gerichtet – Frieden ihrer Asche. "Gloria in exelsis deum."–Und lauter und lauter klingt es in die schweigende Landschaft hinaus. "Gloria in excelsis deum."
Zu gleicher Zeit bestatten sie droben, in stolzen Ritterschloss den altesten Spross eines edlen Geschlechts. Ein Blutsturz hat sienem Leben ein Ende gemacht.
Viele Jahre vergehen - Jahrhunderte. Was ist aus dem Kloster geworden. Schwarz und düster sagen die Ruinen des ehemaligen Hapsalschen Kloster empor – Zeichen einer vergangenen Zeit. Ein Rauner geht durch die Kronen den alten Bäume. Langsam und majestätisch taucht der Mond zwischen den Wolken hervor und spiegelt sich in einem der Fenster der Ruine. Da scheint es als ob die weiße Gestalt sich vor dem Fensterpfeiler löst. Ein bleiches Antlitz schaut erstarrt in Schmerz und Entsetzen in die Sommernacht hinaus. Dann schiebt sich eine Wolke vor den Mond und langsam verschwindet die Gestalt und taucht wieder unter und verschwindet in Schatten der Mauer.
Wer von den Hapsalern die Erscheinung sieht, bekreuzigt sich und murmelt.
"Dei weisse Dame, – Gott sei ihrer Seele gnädig."