Estnisches Volkskundliches Archiv
Estnisches Volkskundliches Archiv (Eesti Rahvaluule Arhiiv = ERA) befindet
sich in
Tartu und gehört heute zum Estnischen Literaturmuseum. Mit dem heutigen Stand
gibt es in ERA 1231130 Seiten handschriftliche Materialien, 5895 Einheiten
(88660 einzelne Aufnahmen) Tonbandaufnahmen, etwa 16000 Fotos, etwa 300 Stunden
Videoaufnahmen.
Geschichte und Sammlungen
Estnisches Volkskundliches Archiv wurde im Jahre 1927 begründet.
Frühere Sammlungen wurden dorthin zusammengetragen. Am wichtigsten unter
denen sind
- die Sammlung von Jakob Hurt – 114696 Seiten, gesammelt von
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20.
Jahrhunderts mit Hilfe von 1400 Korrespondenten;
- die Sammlung von Matthias Johann Eisen - 90100 Seiten;
- die Sammlung von der Gesellschaft der Estnischen Studenten - 20902
Seiten, beinhaltet auch zahlreiche Melodieaufzeichnungen von
Volksliedern und -musik aus dem Anfang des 20 Jahrhunderts. Aus 1912. stammen auch
die ersten phonographische Aufnahmen.
1920.-30. dauerte eine intensive Sammelarbeit fort, das Material wurde
komplektiert und geordnet. Die größten Sammlungen sind
- die des Estnischen Volkskundlichen Archivs (ERA) - 265098 Seiten;
- die Sammlung der Kinderlieder von Walter Anderson - 58832 Seiten;
- die setukesische (archaisches Kulturgebiet in Südostestland) Sammlung
von Samuel Sommer - 124648 Seiten.
1936.-1938. wurden viele Volkslieder und Volkssagen auf Schallplatten
aufgenommen.
Seit 1940. zählt Estnisches Volkskundliches Archiv zum Estnischen
Literaturmuseum, aber die Forschungsgebiete und -prinzipien änderten
sich dadurch nicht. Im gleichen Jahr wurde auch eine neue Forschungsunternehmen
begründet, die jetzt unter dem Namen
"volkskundliche Abteilung des
Instituts für Estnische Sprache" bekannt ist. Heute wird das Sammeln
und das Forschen hauptsächlich eben in diesen zwei Institutionen getrieben,
aber alle Originalmaterialien werden in ERA aufbewahrt.
Das Einordnen der Materialien, Kartotheken
Alle Originalmaterialien sind möglichst vollständig auf
Kartothekenkarten kopiert worden, (in den letzten Jahren werden auch
Computerkopien gemacht). Das Material ist in Kartotheken nach Inhalt
und Genre eingeordnet.
- I. Kartotheken der Volkslieder:
- Runolieder (finnougrische, nach Kalevala-Maß, ältere);
- Klagelieder;
- Kinderlieder;
- Naturlaute;
- gereimte (neuere) Volkslieder.
- II. Kartotheken der Volksspiele.
- III. Kartotheken der Volkstänze.
- IV. Kartotheken der Melodien.
- V. Kartotheken der Volkserzählungen:
- Märchen;
- Sagen;
- Schwänke;
- Lokalerzählungen.
- VI. Kartotheken des Aberglaubens und der Brauchtumsbeschreibungen:
- Volkstümliche Astronomie,
- Volksbotanik;
- Natur;
- Mensch;
- Deutung der Träume;
- historische und gesellschaftliche Verhältnisse;
- Wirtschaftszweige, Haushalt, Reisen;
- Volkskalender;
- Volksmedizin.
- VII. Kartotheken der Zauberworte
- VIII. Kartotheken der Volksärzte
- IX. Kartotheken der Kurzformen:
- Rätsel;
- Redensarten und Fraseologismen;
- Sprichwörter.
- X. Kartotheken für Überlieferung anderer Völker:
- livisch;
- jüdisch;
- lettisch;
- russisch.
Allgemeine Kartotheken beinhalten vollständige Angaben über
Materialien, die sich in handschriftlichen sowie in Tonbandaufnahme-Sammlungen
befinden:
- topographische oder Ortsnamenkartothek (gibt Hinweise auf das Material
von einem bestimmten Ort);
- Kartothek der Sammler (alphabetisch);
- Kartothek der Sänger und Erzähler (topographisch-alphabetisch).
Gegenwärtige Sammelarbeit
Am Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die Sammelarbeit mit Hilfe der
Korrespondenten durchgeführt und auch heute hat Estnisches Volkskundliches
Archiv einige systematische Korrespondenten. Hauptsächliches Material kommt
heutzutage jedoch von Expeditionen ein. Mitarbeiter in ERA (plus einige Leute
aus der volkskundlichen Abteilung des Instituts für Estnische Sprache)
organisieren jährlich Expeditionen jeweils in ein Kirchspiel Estlands,
außerdem finden kleinere Expeditionen je nach Bedarf und Interesse statt.
Auch Sammelaktionen, die ihren Anfang im Jahre 1930 haben, finden Fortsetzung:
so sind zahlreiche Lokalsagen und Spiele gesammelt worden, im Jahre 1990 fand
eine Sammelaktion für Schüler- und Studentenfolklore statt, u.ä.
Seit 1980. hat man besondere Aufmerksamkeit auf Volksärzte gelenkt. Man hat
Tonbandaufnahmen und Filme gemacht und Angaben, Erinnerungen, volkstümliche
Erzählungen u.ä. über mehr bekannte Volksärzte gesammelt.
In den letzten Jahren hat man mehrere Veranstaltungen der Volksmusik (z.B.
Tage der Harmonikamusik), gegenwärtiges Kalenderbrauchtum (Martini- und
Katharina-Gänger), Ereignisse im Schüler- und Studentenleben
aufgenommen (oder gefilmt).
Seit 1991. läuft das Projekt "Volkskultur in estnischen
Siedlungen" – man hat die unikale Überlieferung der sibirischen
Esten in mehreren Siedlungen gesammelt.
In ERA ist auch viel Überlieferung von östlischen finnougrischen
Völkern eingegangen. Seit 1974. hat man wepsisches Material systematisch
geforscht, zahlreiche Texte gibt es in mordvinischen, wogulischen, hantischen und
udmurtischen (kleinere Völker in Rußland) Sammlungen.